Guten Tag zusammen,
seit knapp einem Jahr lese ich hier unregelmäßig mit und habe mich jetzt mal registriert.
Ich war mir lange Zeit unsicher, ob ich mich hier zu Wort melde, weil es mir noch sehr gut geht, meine Ansichten zweifelhaft sein könnten und sich jemand auf den Schlips getreten fühlen kann. Das ist nicht meine Absicht, ich bin auf der Suche nach ernsthaftem Austausch, um mich vom Gegenteil zu überzeugen oder meine Ansichten zu bestärken. Gerade hier gehen ja die Meinungen weit auseinander und die Erfahrungen mit den Therapien sind vielfältig.
Zu mir:
Ich bin 32 Jahre jung und mein Leben geht eigentlich jetzt erst so richtig los. Spät noch mal ein Studium gemacht, die Hochzeit mit der Partnerin wird aktuell geplant und Kinder sind eigentlich immer gewünscht gewesen.
Ich lebe nicht ungesund, ich könnte mehr Sport machen, bin aber im Normalgewicht und war eigtl 31 Jahre Krankenhausfrei. Bin vllt ein bis max zwei mal pro Jahr erkältet, nie so, dass es mich ans Bett gefesselt hätte.
Mein Verlauf:
Im März/April 2023 wurde ich auf ein seltsames Gehverhalten hingewiesen - ich würde immer den Fuß beim Laufen fallen lassen. Hausarzt meinte “Fußheberschwäche” und habe dann sogar kurzfristig einen Neurologen Termin erhalten. Ich war zu der Zeit im Studium bei dem Drittversuch meiner allerletzten Klausur, was für mich psychisch enormer Stress war. Der Neurologe hat dann entsprechend ein MRT von Schädel und HWS/BWS veranlasst mit der Begründung: Verdacht auf ZNS Entzündung. Zeitgleich Physiotherapie zur Behandlung. Die “Fußheberparese” ist dann seit etwa Oktober 23 vollständig behandelt und es gibt keine Probleme mehr.
Im April ging es dann mit der Bachelorarbeit los, bei der das Thema aber im Mai noch mal geändert wurde - erneut etwas Stress für die Psyche. (Üblicherweise arbeite ich gerne unter Druck, aber nicht solch entscheidender)
Das Ergebnis waren dann Doppelbilder auf dem linken Auge, die ich im Juni festgestellt habe. Augenarzt konnte eine winzige Entzündung am Sehnerv feststellen, die MRTs fanden mittlerweile statt. Und siehe da - 2 Läsionen im Schädel und eine im Rückenmark BWS. Da eine Läsion etwa auf Augenhöhe war hat man die mit dem Auge in Verbindung gebracht, die in der BWS Region könnte ganz klar für die Fußheberparese verantwortlich gewesen sein.
Die Doppelbilder habe ich nie als störend empfunden, sie waren recht schwach und beim beidseitigen sehen nicht bemerkbar. Inzwischen sind sie abgeklungen, meine Sehfähigkeit links ist laut Sehtest jedoch auf 80% zurückgegangen.
Im August hatte ich dann einen Termin in der MS-Ambulanz, die mich auch direkt fürs Wochenende zur Cortisonstoßtherapie sowie Lumbalpunktion geladen haben. Inzwischen stand der Verdacht MS ja im Raum und er wurde über die olig. Banden sowie die Läsionen bestätigt. Ergänzt: Schubförmig remittierende MS
Therapiebeginn mit Tecfidera oder Kesimpta stand ebenfalls direkt im Raum.
Im November war dann der Folgetermin zur Besprechung der Behandlung.
Und hier gerate ich in einen Konflikt mit mir und meinem Gewissen. Es war immer mein Ansatz, dass ein Medikament einen Leidensdruck lindern soll. Die Einnahme eines Medikaments ist für mich ein Umstand, der nur durch den Leidensdruck überwiegt. Soll heißen: Ich schieße nicht gerne mit Kanonen auf Spatzen.
Aber… Seit der Fußheberparese habe ich keinen Leidensdruck. Ich habe keine effektiven Schubsymptome, alles funktioniert wie es soll.
Ich habe also die Behandlung fürs erste mit dieser Begründung abgelehnt und gesagt, dass ich die kommenden Bilder 2024 abwarten will. Ich will Vergleichswerte / -bilder, um zu sehen, worauf sich das Ganze stützt. Unter anderem, weil ich die bisherigen Schübe ganz klar mit Ereignissen in Verbindung bringen konnte!
Aber: Ich habe auch gesagt, sollten Schubsymptome eintreten, werde ich unmittelbar vorstellig, um mit der Therapie zu beginnen. (Thema: Leidensdruck)
Und ja, ich wurde auch darüber aufgeklärt (und war mir dessen bewusst), dass im Worst Case ein Schub eintreten kann, der meine Blasenfunktion oder meine Gehfähigkeit einschränken kann. Aber das könnte genau so gut mit dem Medikament passieren.
Vorspulen zu Juni 2024 - MRT HWS BWS Schädel. Die Woche drauf ruft mich mein Neurologe an, wir sollten den Termin vorziehen. Panik macht sich breit. Es sind zwei neue Läsionen aufgetaucht, eine im Schädel und eine im Rückenmark, unmittelbar unter dem Hirnstamm. “Wir sollten die Therapie jetzt starten, die Krankheit ist aktiv.” Und natürlich direkt mit Cortison drauf (3x 1000 mg). Die Woche drauf war der Termin in der MS Ambulanz. “Wir sollten die Therapie jetzt starten, die Krankheit ist aktiv.”
Das Ergebnis:
Und ich? Ja. Ich habe jetzt Vergleichsbilder die mir attestieren, dass die Krankheit aktiv ist. Ich habe gesagt, ich werde die Therapie starten, wenn die Vergleichsbilder genau das zeigen. Aber… ich habe keinen Leidensdruck (außer dem psychischen, der durch die Ärzte natürlich verursacht wird)
Mir ging es all die Monate gut. Ich habe (aktuell noch?) keinerlei Einschränkungen. (worüber ich unglaublich froh bin!)
Gleichzeitig bin ich froh, dass die Krankheit so früh erkannt wurde. Deutlich später wäre vermutlich einiges inzwischen kaputt.
Aber meine große Sorge ist… Eine Therapie mit der Einschränkung des Immunsystems kann so viele Folgen haben, dass mir mein Gewissen aktuell einfach nur sagt: “Das ist es nicht wert. Schau dich an, dir wird es mit der Therapie deutlich schlechter gehen als ohne!”
Gleichzeitig sagt aber natürlich jeder: “Dir wird es schlechter gehen und das Medikament wird dafür sorgen, dass das deutlich später eintritt”
Für mich würde nur Kesimpta in Frage kommen, da ich lieber einmal pro Monat selbst injiziere als täglich Tabletten dafür zu nehmen. Zumal man Tecfidera dank der Flushs deutlich mehr mitkriegen dürfte.
Aber meine Sorgen sind natürlich, häufiger Krank zu sein, schwerer Krank zu sein, in Bus / Bahn / Veranstaltungen Maske tragen zu müssen / sollen. Das Medikament nicht zu vertragen, beim Absetzen erst recht einen schweren Schub auszulösen (getrost “never change a running system”) dank des eventuell auftretenden Rebound Effekts.
Zeitgleich ist es aber auch ein Hoffnungsschimmer in mir, der mir sagt: “Wenn du jetzt mit der Therapie die Krankheit in Schach hältst, hast du vielleicht das Glück, dass in 10 - 20 Jahren eine Heilung bereit ist und nicht all zu viel kaputt ist.” - außer im Worst Case mein Immunsystem.
Ich bin mir vollständig bewusst, dass mir hier niemand die Entscheidung abnehmen kann. Ich hoffe aber, Ratschläge zu erhalten sowie Erfahrungen mit Kesimpta, was die Empfindlichkeit des Immunsystems auf Krankheiten betrifft sowie die Einschränkungen, die damit im Alltag auf mich zukommen.
Ich möchte mich bei jedem bedanken, der meinen Weg bis hierhin gelesen hat. Ich freue mich auf regen Austausch und neue Erfahrungen