Hallo zusammen,

erst einmal möchte ich sagen, daß ich den Hut ziehe, wie ihr mit MS umgeht. Hier liegt nämlich genau mein Problem. Ich habe kurz nach der Geburt unseres letzten Kindes das Lhermitte´sche Zeichen bekommen. Beim MRT Kopf + HWS wurden jeweils zwei Herde gefunden, Liquor (noch) negativ, Verdachtsdiagnose: MS. Damals bis heute hatte ich zum Glück nicht mehr wie dieses L.-Zeichen, welches eben Kribbelgefühle in den Beinen hervorruft. Ich weiß, daß manche von euch wirkliche gesundheitliche Probleme bzw. Einschränkungen haben und kann ja noch froh sein, nur es nervt, es nervt wirklich. Ich bin ja hierdurch keineswegs eingeschränkt, nur es ist mal weg, dann mal schwach, mal stark, je nach Streß und Anstrengung und es schwebt immer über mir. Egal, ob in stressigen Augenblicken, dann werde ich gleich eine Spur gereizter, gerade in schönen Augenblicken, wenn ich es merke, dann dreht sich alles wieder um eine Sache: MS. Nicht, daß ich jetzt meine Familie damit belaste bzw. belasten möchte, nur, ich mache mir immer den Kopf, da ich eh´ ein Mensch bin, der dazu neigt, sehr viel zu grübeln. Sprich´, ich habe das Gefühl, solange dieses Gekribbelse da ist (was ja wohl bleiben wird) und ich immer wieder konfrontiert werde, glaube ich kaum, daß ich es schaffe, diese blöden Gedanken loszuwerden. Es sind keine Angstgefühle, die ich habe, einfach nur Ärger, Wut, daß dieser Blödsinn da ist, ich immer wieder daran erinnert werde. Also bitte nicht falsch verstehen, ich möchte nichts wegdrängen und akzeptiere die Situation ja auch, will mich aber doch nicht damit abfinden (obwohl ich weiß, daß ich es muß). Vielleicht habt ihr ein paar Tipps für mich, wie ihr es geschafft habt, mit der Krankheit zu leben, ohne daß sie immer über euch “schwebte”, weil im Grunde wird man ja ständig durch die Beschwerden daran erinnert, nicht wie bei einer Erkältung, Schnupfen weg, Erkältung vergessen, ihr versteht, was ich meine??? Ich würde mich echt freuen, weil zum Psycho-Doc möchte ich deswegen noch lange nicht, obwohl es ja eine Kopfsache ist. Klar, auch alle anderen Leute wissen nicht, was sie zu erwarten haben, was kommt, genauso wenig wie wir. Ich weiß auch, daß ich MS nicht einfach in die Schublade stopfen kann, aber wenigstens möchte ich nicht den ganzen Tag von diesen zwei Buchstaben “dirigiert” werden, weil es gibt doch auch echt schönere Sachen. Einen schönen Tag und ich würde mich freuen, von euch “zu lesen”. Liebe Grüße Tanja

Hallo Tanja,

das Kribbeln ist eine “normale” Missempfindung durch die Herde in der HWS (machst du eine Therapie?). Das Lhermitte- oder Nackenbeugezeichen ist ein bisschen was anderes. Es tritt auf, wenn man den Kopf nach vorne beugt (oder gebeugt kriegt). D.h. z.B. wenn dir der Neuro bei der Untersuchung das Kinn auf die Brust drückt. Dann fühlt es sich an, wie wenn du plötzlich “eine gewischt kriegst”, d.h. etwa wie ein elektrischer Schlag, der vom Nacken ausgeht, und bis in die Finger und Zehen in dich reinfährt -zack, aua!!! http://de.wikipedia.org/wiki/Lhermitte-Zeichen

Kribbelnde Füße habe ich auch, seit ca. 2 Jahren fühlen sich meine Füße nicht mehr wie Füße an, sondern, wie wenn der Zahnarzt bei der Betäubung das obere mit dem unteren Körperende verwechselt hätte. Manchen hilft dagegen Gabapentin oder Carbamazepin. Frag mal deinen Neuro danach.

Wie es geht, mit der Krankheit zu leben? Tja, es muss halt. Wenn man sowieso allmählich in das Alter kommt, wo vieles nicht mehr so funktioniert wie mit 25, passt man sich den veränderten körperlichen Gegebenheiten an. So oder so, mit oder ohne MS, irgendwann funktionieren die Augen nicht mehr, wir kriegen Fältchen, der Verdauung kann man nicht mehr alles zumuten, den Gelenken auch nicht, und so weiter.

Dann muss man sich auch damit abfinden, dass man Kleingedrucktes nicht mehr ohne Brille lesen kann, kein Restaurantessen mehr verträgt und keine Sprudelkiste mehr heben kann, dass die Haare weiß werden und die Zähne Schrott. Das ist auch ohne MS der Lauf der Welt.

Und so, wie man sich mit dem Altern abfindet, findet man sich wohl auch mit den Verlusten ab, die einem die MS zufügt. Das meiste kommt dabei ja allmählich, und nicht schlagartig, wie z.B. bei einer Querschnittslähmung durch ein Unglück. Ich möchte nicht mit Wolfgang Schäuble tauschen, und mit Christopher Reeve hätte ich auch nicht tauschen wollen.

Ich nenne die MS meinen lebenslangen Parasiten. Mir hilft ein bisschen, dass ich das Vieh nicht einfach ungestraft an meinen Nerven nagen lasse, sondern ihm alle zwei Tage eine Spritze reinhaue. Ich habe dadurch das Gefühl, dass ich ihm nicht ganz wehrlos ausgeliefert bin und ihm den Appetit auf meine Nerven ein bisschen verderbe. Aber das muss jeder für sich entscheiden, manchen geht es mit Therapie besser, anderen ohne. Man kann es nur selbst ausprobieren, die Erfahrungen anderer sind nicht übertragbar.

Wir wissen alle nicht, was kommt, und wer in wessen Grab runterschaut. 2005 starb ein sehr lieber Freund von mir, der völlig gesund und 5 Jahre jünger war als ich. Seither bin ich, was das Jammern und die Zukunftsangst wegen der MS angeht, sehr kleinlaut geworden.

Liebe Grüße und alles Gute
Inge
nge

Hallo Inge,

nein, ich mache keine Therapie, da es noch nicht zu 100 % sicher ist (da wahrscheinlich erster Schub + 4 Herde, Liquor noch negativ) und es bei diesem Schub bleiben kann. Ich habe mich wahrscheinlich falsch ausgedrückt, ich habe dieses Kribbeln nicht ständig, sondern wirklich nur, wenn ich den Kopf vornüberbeuge (deshalb ist es mir ja auch erst aufgefallen, als ich mich nämlich öfters hintereinander über den Kinderwagen beugte und ich dann dieses elektrische Gefühle entlang der Wirbelsäule bekam). Im Moment kribbelt es beim Kopfbeugen allerdings nur in den Füßen. Ich habe allerdings auch eine dreitägige hochdosierte Cortison-Stoßtherapie bekommen, die Beschwerden sind zwar besser geworden, nur eben nicht ganz weg und in Streßsituationen wird es wieder schlimmer (teilweise auch die Hände), läßt dann aber auch irgendwann wieder nach. Ich halte mir ja auch vor Augen, daß es wirklich sehr viel Schlimmeres gibt, möchte es ja auch gar nicht “wegschieben”, einfach damit leben können, ohne andauernd darüber zu grübeln (was ja eh´ nichts bringt). Klar, ich habe nun mal den Vergleich, wie fit ich war, als die beiden Großen so klein waren, wie unsere Kleinen jetzt, das frustriert eben, daß man nicht mehr diesen Elan, diese Ausgeglichenheit hat, sondern einfach sehr gemähchlich geworden ist und vielleicht auch nicht mehr so belastbar, nervlich gesehen. Das macht mich nun mal sehr traurig, da ich immer ein sehr ausgeglichener Mensch war und auch wieder gerne sein würde. Nur setze ich mich selber unter Druck durch diese blöden Gedanken, anstatt einfach den Tag zu genießen, vermiese ich mir die meisten. Das frustriert. Trotzdem vielen, vielen Dank für Deine Antwort. Liebe Grüße Tanja

Du gewöhnt dich dran, ehrlich. Und es gibt schlimmeres. Vor 2 Jahre lag ich in der Krebsabteilung mit Verdacht auf Lymphknoten-Krebs. Am Ende war doch nichts. Aber in den 2 Wochen war mir MS wirklich pieps-egal!