Jede fünfte MS-Erkrankung durch Rauchen verursachtAutor:
Etwa 20% aller MS-Fälle lassen sich auf den Tabakkonsum zurückführen. Wie Dosis, Einstiegsalter oder Dauer mit in diese Gleichung hineinspielen, untersuchte Professor Lars Alfredsson in seiner aktuell auf dem ECTRIMS vorgestellten Studie.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Der Tabakkonsum geht nicht nur mit einem erhöhten Risiko einher, an einer MS zu erkranken, sondern scheint auch die MS-Progression zu beschleunigen. Darauf deuten inzwischen mehrere Studien. MS-Kranken wird daher geraten, mit dem Rauchen aufzuhören oder gar nicht erst anzufangen. Was am Rauchen jedoch die Immunzellen auf Abwege führt, ist weniger klar, auch nicht, welche Relevanz Dosis, Einstiegsalter und Dauer des Tabakkonsums haben. Auf dem Kongress der europäischen MS-Gesellschaft ECTRIMS in Stockholm hat Professor Lars Alfredsson vom Karolinska-Institut der schwedischen Hauptstadt nun neue Daten vorgestellt, nach denen es für das MS-Risiko vor allem entscheidend ist, wie lange und nicht nur wie viel jemand raucht. Rauchen wirkt nach diesen Resultaten zudem synergistisch mit anderen Faktoren, etwa für MS ungünstigen Genkombinationen oder anderen inhalierten Schadstoffen.
MS-Risiko bei rauchenden Männern verdreifacht
Alfredsson bezog sich auf zwei schwedische Fall-Kontroll-Studien (EIMS und GEMS) mit zusammen rund 8000 MS-Kranken und 9000 Personen ohne MS. In einer gepoolten Analyse der Studien ergab sich nach den Berechnungen der Forscher ein um 60% erhöhtes MS-Risiko bei Rauchern. Schauten die Epidemiologen nach dem Einstiegsalter, so war es für das MS-Risiko unerheblich, ob die Raucher im Alter von weniger als 15 oder erst mit über 20 Jahren ihren Tabakkonsum begonnen hatten. Hingegen zeigte sich ein kumulativer Dosiseffekt bezogen auf die Zahl der Packungsjahre: Wer über 16 Jahre hinweg jeden Tag eine Packung Zigaretten raucht, verdoppelt das Risiko, an einer MS zu erkranken. Männer sind stärker betroffen: Bei ihnen ist das MS-Risiko nach 16 Packungsjahren rund verdreifacht, bei Frauen dagegen nur um das Eineinhalbfache erhöht.
Wird weiter nach Intensität und Dauer differenziert, ist die Dauer offenbar relevanter: Nach einer 15-jährigen Raucherkarriere ist das MS-Risiko verdoppelt, egal ob jemand täglich weniger als fünf oder mehr als 15 Zigaretten konsumiert. Die Intensität ist hingegen in den ersten zehn Jahren entscheidend: Hier sorgen weniger als fünf Zigaretten am Tag für kein erhöhtes MS-Risiko, bei mehr als 15 ist die MS-Gefahr dagegen um 80% erhöht. Offenbar gibt es einen Sättigungseffekt, ab dem das Erkrankungsrisiko kaum noch weiter zunimmt.
Dagegen scheinen andere MS-Risikofaktoren das tabakbedingte Risiko zu vervielfachen. Die Forscher um Alfredsson analysierten auch die Präsenz zweier HLA-Genvarianten, die mit einem erhöhten MS-Risiko einhergehen. Im ungünstigsten Fall ist das MS-Risiko bei Nichtrauchern mit beiden Varianten versechsfacht, bei Rauchern verzwölffacht.
Erhöhtes MS-Risiko auch bei Passivrauchern
Ein ähnlicher Zusammenhang ergibt sich fürs Passivrauchen: Nach mehr als zehn Jahren Exposition ist das MS-Risiko nach den schwedischen Daten um rund 40% erhöht, nach mehr als 20 Jahren um 80%, so Alfredsson. Ein kausaler Zusammenhang vorausgesetzt und Passivrauchen eingeschlossen, lasse sich in Schweden jede fünfte MS-Erkrankung auf das Rauchen zurückführen, unter Personen mit MS-Risikogenen seien es sogar vier von zehn MS-Erkrankungen, erläuterte der Epidemiologe.
Interessanterweise ging in den Studien der Konsum von Schnupftabak mit einem leicht reduzierten MS-Risiko einher, sodass Nikotin wohl eher nicht die MS-Gefahr begünstigt. Alfredsson vermutet als Ursache lungenreizende Inhaltsstoffe, die eine entzündungsfördernde Umgebung schaffen. Möglicherweise führten Reizstoffe im Tabak auch zu Veränderungen von Proteinen in der Lunge, welche Ähnlichkeiten zu ZNS-Proteinen aufweisen. Dies könnte eine Autoimmunreaktion im Gehirn triggern.
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Das European Committee for Treatment and research in multiple sclerosis (ECTRIMS) traf sich zu seinem Kongress 2019 in Stockholm. Diskutiert wurden u.a. B-Zellen als neue Therapieoption, der Nutzen der Stammzelltransplantation oder was beim Impfschutz von MS-Patienten zu beachten ist.
Die gute Nachricht: Das MS-Risiko sinkt nach einem Rauchstopp. Rund zehn Jahre nach der Entwöhnung ist es wieder auf dem Niveau der übrigen Bevölkerung.
Unklar ist der Zusammenhang mit anderen Luftschadstoffen. Einige Studien hätten eine erhöhte MS-Inzidenz in Regionen mit hoher Schadstoff- und Feinstaubbelastung festgestellt, andere nicht. Möglicherweise sei auch hier die Dosis relevant, so Alfredsson.
Ein deutliches Signal sehen die Forscher um Alfredsson jedoch für organische Lösungsmittel. Diese gehen nach den schwedischen Daten ebenfalls mit einem erhöhten MS-Risiko einher, wobei das Risiko dramatisch bei Personen gesteigert ist, die zusätzlich rauchen und ungünstige Genvarianten aufweisen: Für solche Personen ist es offenbar 40-fach wahrscheinlicher, an einer MS zu erkranken, als für Menschen ohne bekannte Risikofaktoren.
Wie immer bei Fall-Kontroll-Studien sind viele Einschränkungen zu berücksichtigen. Die Daten zum Rauchen beziehen sich auf Selbstauskünfte, und es handelt sich um reine Assoziationen. Immerhin haben die Wissenschaftler um Alfredsson etliche Begleitfaktoren wie Alter, Geschlecht und Wohnort berücksichtigt.
Das Wichtigste in Kürze
Frage: Wir wirkt sich Rauchen auf das MS-Risiko aus?
Antwort: Je länger jemand raucht, umso höher ist das Erkrankungsrisiko. Rauchen wirkt zudem synergistisch mit anderen Risikofaktoren.
Bedeutung: Rund jede fünfte MS-Erkrankung lässt sich auf das Rauchen zurückführen einen kausalen Zusammenhang vorausgesetzt.
Einschränkung: Daten beruhen auf Selbstauskünften und liefern nur Assoziationen.