Hallo, habe seit 19 Jahren die Diagnose, kam damals kurz vor Weihnachten, Baby war gerade 4 Monate alt. Hatte Entzündung am Sehnerv, war nach ein paar Tagen azf einem Auge blind. Cortisontherapie, danach 10 Jahre gar nichts, seitdem unzählige Medis, oral, subkutan, i.m., venös probiert. Bei den oralen ging alles auf Leber und Nieren, vor 10 Jahren kamen dann noch epileptische Anfälle dazu, die Medis dagegen haben auch zig Nebenwirkungen. Kortison i.v. mit all den schönen Nebenwirkungen, Schlafstörungen, Fresskopf, Stiernacken. Bei den Spritzen Hämatome ohne Ende, Laufen immer schlechter, linkes Brin völlig lahm. Knochenschmerzen ohne Ende, Blasen- und Darmfunktion gestört. (Ein persönliches Highlight war, als ich mir am Strand an der französischen Atlantikküste in die Hose geschissen habe) Monatelang AU, Depressionen, alles toll. Vor drei Jahren erstmals Ocrevus, danach etwas besser. Seit rund 2 Jahren Kesimpta. Seitdem lebe ich wieder. Die ersten drei Subkutaninjektionen, mach die in den Oberarm, Fertigepen, supereinfach, danach alle 4 Wochen. Ich bin ein neuer Mensch . Vor drei Jahren: 50 Meter am Stock mit mega-Knochenschmerzen rund um die Uhr. Nachts nie länger als zwei Stunden Schlaf am Stück. Seitdem ich Kesimpta nehme, kombiniert mit Vitamin D: die Schmerzen liessen nach einiger Zeit nach, heute vollkommen schmerzfrei. Blase und Darm unter Kontrolle. Ich brauche keinen Stock mehr, das Bein ist immer noch lahm, aber kein Vergleich, nutze in niedrigen Schuhen eine Fußhebeschiene. Keinerlei Nebenwirkungen. Kein Schub mehr. Psyche wieder ok. In der Wirksamkeitsbeschreibung heißt es, der Krankheitsverlauf wird gestoppt. Bei mir ist es besser geworden. Letztes Jahr bin ich das erste Mal seit 15 Jahren wieder durch die Dünen zum Strand gelaufen, ca 2,5 km mit bergauf bergab. Am Strand angekommen musste ich erstmal vor Freude heulen. Vielleicht nicht unerheblich dafür, dass es mir heute so gut geht: ich achte auf mich. Das Meer gibt mir unwahrscheinlich viel Kraft, fahre so oft es geht, dahin. Und da reicht es mit schon, ne Viertelstunde am Strsnd zu sitzen und die Wellen anzugucken. Ich habe mich nach 22 Jahren getrennt, Scheidung war letzte Woche, die Reaktion auf meine Erkrankung war: du musst dich nur mehr bewegen. Der Mann arbeitet seit über 40 Jahren in der Pflege. Da setzt man schon mal auf Empathie, Fehlanzeige. Ich bin auch Schuld an Scheitern, habe mich mehrere Jahre mit Alk zugeballert. Wendepunkt kam dann vor 4 Jahren, im Suff auf die Schnauze gefallen, Rippen gebrochen, Pneumothorax, den ich überhaupt nicht gemerkt habe. 14 Rage Krankenhaus, erst versucht, konventionell zu behandeln. Wurde dsnn doch operiert, alles wieder gut. Ex-Mann kam ins KH, wusste nicht, was passiert war, dachte Pneumothorax kommt vom Rauchen. er ist absoluter Nichtraucher. Legte wortlos mehrere Kippenschachteln auf meinen Nachttisch. Das war für mich der endgültige Todesstoss. Danach war Schluß mit Alk und Selbstmitleid .Tochter hat letztes Jahr super Abi gebaut. Danach ausgezogen, wollte das noch abwarten. Verstehen uns gut, sehen uns oft, war nach dem Abi 8 Monate in Costa Rica, will jetzt Medizin studieren Beziehung zu Exmann ist auch wieder ok, die Distanz ist Gold wert. Hier sind wir nun doch mal erwachsen, Unternehmen viel gemeinsam mit der Tochter. Reicht aber definitiv nicht mehr für ne Beziehung.
Und ich habe angefangen, die schönen Dingen wahrzunehmen. Fantastischer Sonnenuntergang am Strand an meinem Geburtstag, ich mit Tochter und Erdbeeren mit weißer Schokolade. Dieser Moment war so perfekt, wäre ich in diesem Moment gestorben, es wäre ok gewesen, war einfach vollkommen mit mir im Reinen. Ich glaube, Seelenhygiene ist bei dieser Krankheit, wie wohl bei allen anderen, essentiell.
Ich bin heute dankbar für jeden Tag, es gibt immer etwas Schönes und sei es das Rotkehlchen, das mich bei meiner Hunderunde begleitet oder die vielen Schmetterlinge die ich letzte Woche noch gesehen habe.
Ich wünschte, mein Vater hätte das noch erleben dürfen. Er hat die Diagnose vor 35 Jahren bekommen. Ein einfühlsamer Arzt riet ihm, schon mal seine Papiere zu ordnen. Das hat er nicht gemacht, sondern ein Haus gebaut und seine Praxis bis zum 69. Lebensjahr geführt. Er war Gynäkologe, sehr praktisch für mich, jede Woche ein Ultraschallbild. Vor 5 Jahren ist er gestorben, super, jetzt seh ich alles verschwommen, er fehlt noch immer. Ein Neurolge sagte ihm damals, die Forschung wird 2020 ein wirksames Medikament entwickelt haben. Er hatte Recht.
Ich wünsche allen Betroffenen, dass ihnen auch geholfen wird. Meine (Ex) Schwägerin hat auch MS, sitzt seit 25 Jahren im Rollstuhl, hat chronische stärkste Kopfschmerzen Doppelbilder usw. Bei meinen ganzen Klinikaufenthalten hätte ich schon längst. aufgegeben bin ich so vielen MS PatienteBei jedem war die Krankheit anders. Denke oft, wenn die Ärzte nicht wissen, was es ist, ist es MS. Während der depressiven Phasen, bei denen sich mein ganzer Kosmos nur um mich selbst gedreht hat, bin ich vor Selbstmitleid zerlassen. Heute bin ich einfach nur dankbar für meinen milden Verlauf. Und immerhin hab ich dank meines Schwebiausweises 5 Tage Extraurlaub. Der Spruch mit den Zitronen und der Limonade hat schon was Richtiges an sich.
Habe schon zig Versuche, mal ein Tagebuch zu schreiben. Jetzt schick ich meine Gedanken mal in den Orbit