Interessanter Beitrag von Prof.Tumani
zur Behandlung älterer PatientenInnen.
Entnommen aus
Amsel Aktuell Mitgliederversammlung Juli 2019
Originaltext:
Profitieren ältere Patienten (noch) von der Immuntherapie?
Es steht zwar fest, dass Medikamente, die wir heute gegen Multiple Sklerose einsetzen, in jüngerem Alter besser wirken. Ebenso ist bekannt dass es ein optimales therapeutisches Fenster zu Beginn der Erkrankung gibt. Dennoch wäre es zu einfach, zu sagen, dass eine Modulation ab 55 Jahren nicht mehr helfen würde, nur weil dann im Allgemeinen das körpereigene Immunsystem und damit auch entzündliche Autoimmunreaktionen nachlassen. Zumindest nicht bei jedem einzelnen Patienten. Professor Hayrettin Tumani blickte umfassend auf die Immunseneszenz, also das Nachlassen des Immunsystems im Alter.
Ein paar statistische Fakten vorneweg: Der Krankheitsbeginn bei schubförmiger Multipler Sklerose liegt meist zwischen 20 und 30 Jahren, bei sekundär und chronisch progredienter MS sind die Patienten zu Beginn meist schon älter, nämlich 30-40 Jahre, so der Ärztliche Direktor der Fachklinik für Neurologie in Dietenbronn beim AMSEL-Symposium. Es gebe deutlich mehr Erkrankte über 50 als solche mit MS in der Kindheit.
Allerdings gibt es heute auch mehr MS-Erkrankte Ü55 als je zuvor. Das liegt an der allgemein höheren Lebenserwartung, an der verbesserten Diagnose wie an verbesserten Behandlungsmöglichkeiten der MS. Prof. Tumani berichtet von einer seiner Patientinnen, die erst mit 75 Jahren MS-Symptome zeigte. Weil sie etwa zeitgleich eine Hüft-OP hatte, lag der Verdacht als Ursache der Symptome - vor allem Gehprobleme - zunächst auf Begleiterscheinungen durch die OP. Mit 80 stellte sie sich vor und erhielt die Diagnose MS.
Gerade Komorbiditäten, also andere Erkrankungen neben der Multiplen Sklerose als Grunderkrankung, verändern den natürlichen Krankheitsverlauf gegenüber jüngeren Jahren. Und sie können bestehende MS-Symptome verstärken, so zum Beispiel vaskuläre Probleme. - Aber wie ältere Patienten behandeln?
Die meisten Zulassungsstudien schließen nur Patienten bis 55 Jahre ein, selten bis 65. Das erschwert die Analyse des Therapieeffektes in der Gruppe Ü55. Dennoch: Eine Meta-Analyse ergab eine starke Abnahme des Therapieeffektes in Abhängigkeit vom Alter. Nach dem 53 Lebensjahr zeigte sich hier kein Effekt der Therapien. Die hochwirksamen Therapien waren gegenüber der Basistherapien sogar nur in der Altersgruppe unter 41 Jahren besser. Anders formuliert: Alle MS-Wirkstoffe wirken in jüngerem Alter besser als in höherem. Hochwirksame Therapien wirken später schlechter.
Das heiße im Umkehrschluss jedoch nicht, dass Patienten über 53 Jahre keine immunmodulatorischen Medikamente mehr erhalten sollten. In der Gruppenanalyse zeigte sich zwar diese Tendez; man könne sie jedoch nicht auf jedes Individuum übertragen. Ausnahmen und individuelle Variabilitäten sind möglich.
Die Wirkung der Immuntherapie kann also im Alter nachlassen. Die Nebenwirkungen gerade der hochwirksamen Therapien hingegen nehmen im Alter zu und treten bei der PML auch früher auf (innerhalb des 24-Monatsfensters, ab dem bei jüngeren Patienten auch vermehrt mit einer PML zu rechnen ist).
Ganz klar der Schluss: Ältere Patienten sind besonders zu behandeln. Ihre Nebenerkrankungen muss man beachten, die Therapie eventuell anpassen, was Wirkung und Nebenwirkung angeht.