Hallo,
ich bin neu im Forum und möchte mich gerne vorstellen. Ich schreibe den Beitrag vor allem aus der Intention heraus, vielleicht jemanden helfen zu können, der ebenfalls wie ich eine Paroxysmale Dysarthrie und Ataxie entwickelt hat und aufgrund der Seltenheit ähnlich ratlos war. In MS-Foren habe ich selbst nichts dazu gefunden und insgesamt existieren nur eine Handvoll Studien zu dem Syndrom. Vielleicht gibt es hier aber auch Leute, die ebenfalls eine PDA im Zuge eines Schubes entwickelt haben oder einen ähnlich (überraschend) schweren Schub mit so vielseitigen Symptomen hatten. Über Austausch würde ich mich sehr freuen.
Meine Reise mit MS begann 2012 mit einer Sehnerventzündung bei der ich auf dem linken Auge beinahe komplett blind war. Damals war ich 20 und lebte im Ausland. Aus einer Blindheit auf dem Auge wurde innerhalb einiger Tage ein blinder grauer Fleck in der Mitte des Sehfeldes und etwa 1-2 Monate später eine Fläche mit verminderter Farbwahrnehmung. Das komplette Verheilen hat einige Jahre gedauert.
Immer mit jeweils 1-2 Jahren Abstand kamen einige kleinere Schübe hinzu, bei denen bspw. das Temperaturempfinden in den Füßen oder ein Kribbeln in den Beinen als dauerhafte Begleiter dazukamen. Eine Schubtherapie mit Kortison habe ich damals nur ein einziges Mal machen müssen und innerhalb der gesamten Zeit seit 2012 bin ich größtenteils verschont geblieben. Neben Migräne mit Aura alle paar Monate mal habe ich keine weiteren MS-typischen Begleiterscheinungen.
Im April 2024 hatte ich dann einen (sehr) schweren Schub mit mehreren Läsionen in verschiedenen Arealen, u.a. im Kleinhirn und im Hirnstamm. Meine ersten Symptome zu Beginn des Schubes waren Doppelbilder, Apathie und im Verlauf des Tages dann eine zunehmend verwaschene Sprache. Obwohl ich am nächsten Tag direkt mit der Stoßtherapie angefangen habe, nahmen die Beschwerden in den folgenden Tagen zu.
Meine Sprache wurde unverständlich (in der Notaufnahme hielt man mich erst für betrunken, aber das ist eine andere Geschichte ), ich war laut meiner Freundin und meinen Freunden in meiner Persönlichkeit verändert, wiederholte die immer gleichen Sätze und bildete eine rechtsseitige Schwäche aus, sodass ich überhaupt nicht mehr schreiben konnte und Schwierigkeiten mit dem Laufen bekam. Dann kam noch dazu, dass ich bestimmte motorische Aufgaben nicht mehr ausführen konnte, wie das altbekannte imaginäre Drehen einer Glühbirne und Probleme mit meinem Orientierungs,- und Zeitgefühl bekam. Meine Konzentration war ebenfalls sehr stark eingeschränkt.
Leider ist meine Erinnerung an die Zeit teilweise bruchstückhaft und verzerrt, sodass ich vieles nur aus Erzählungen weiß. Als ich stationär aufgenommen wurde, wurde im ersten Schritt zunächst eine PML ausgeschlossen, da es da Überschneidungen im Symptombild gab. Nach einer weiteren Stoßtherapie mit Methylprednisolon gingen die Symptome innerhalb von ein bis zwei Wochen stark zurück, sodass eine Plasmapherese schlussendlich zum Glück nicht notwendig war.
Etwa drei Wochen danach bekam ich dann Anfälle, in denen meine Hauptbeschwerden für einige Sekunden wieder “aufflammten”: Meine gesamte Motorik war stark eingeschränkt, meine Sprache unverständlich und ich sah wieder Doppelbilder. Kurz danach habe ich herausgefunden, dass es sich dabei um eine paroxysmale Dysarthrie und Ataxie (PDA) handelt, ein Syndrom, das bei MS sehr selten auftritt. Meistens tritt eine PDA nach einem schweren Schub durch Gliose oder andere Komplikationen im Rückbauprozess auf.
Mein Neurologe war ratlos, sein nebenan angesiedelter Kollege ebenfalls. Die Anfälle traten mindestens einmal pro Minute auf und blieben für einige Sekunden. Das war sehr einschränkend. Autofahren war nicht mehr möglich und alles andere war dadurch stark verlangsamt oder beeinträchtigt. Als leidenschaftlicher Zocker und konsolenfanatischer Linux-Fan war das wirklich hart, weil meine sonstige Schnelligkeit und Leichtigkeit dahin waren und ich auch bei Projekten mit Werkzeugen völlig überfordert war und das Arbeiten an meinen elektrotechnischen Projekten nicht mehr möglich war.
Ich habe mich dann gemeinsam mit meiner Freundin an einen Epilepsie-Spezialisten gewandt, der mir zu einem Antiepileptikum riet. Erst habe ich Levetiracetam ausprobiert, welches nach einigen Wochen keinerlei Effekt zeigte , dann Lacosamid. Zu meiner unfassbaren Freude ist innerhalb weniger Tage ist die PDA durch Lacosamid vollständig unterdrückt worden! Welches Epilepsie-Medikament das passende ist, hängt aber natürlich auch von der Ursache der PDA ab. Bei manchen Patienten kann es auch zu einer Verschlimmerung anderer Symptome kommen, da die Medikamente die Erregungsleitung von den Nervenzellen hemmen, wenn auch sehr spezifisch, wie im Fall von Lacosamid.
Ich bin danach dann auch von Tecfidera auf Kesimpta umgestiegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die PDA aber wieder verschwindet, halte ich für relativ gering.