Hallo Legata,
“Nun aber noch mal zu den Muskelschmerzen. Sind das eventuell Nebenwirkungen des Cortisons, oder Entzugserscheinungen des Cortison”
Cortison wirkt schmerzlindernd und aufputschend, und wenn die Wirkung nachlässt, kommen Schmerzen wieder, die dadurch unterdrückt wurden. Cortison wirkt entzündungshemmend, und wenn die Wirkung nachlässt, können Entzündungen, z.B. Gelenkentzündungen, die durch das Cortison unterdrückt wurden, wieder aufflammen. Ferndiagnosen sind nicht möglich.
“weil von 1000 auf 100 runter,”
Prednisolon, nehme ich an? - Vom Ausschleichen ist man eigentlich abgekommen, das ist out. Der “kalte Entzug” ist systemisch weniger problematisch. Dann haben die Nebennieren die Produktion des körpereigenen Cortisons noch nicht runtergefahren - was sie tun, wenn man es länger als 5-7 Tage einnimmt. - Bekommt sie wenigstens einen Magenschutz?
“oder ist es einfach eine neue Richtung die die MS nach der Sehnerventzündung gesucht hat?”
Das könnte natürlich auch sein. MS kann, vor allem, wenn sie das Rückenmark attackiert, eine sehr schmerzhafte Erkrankung sein. Es könnten neuropathische Schmerzen sein. Sprechen sie auf “normale” Schmerzmittel wie z.B. Ibuprofen an? Wenn die nicht helfen, könnte es sich um neuropathische Schmerzen handeln.
“Wie groß sind die Möglichkeiten dass die Sehnerventzündung ganz ausheilt, und sollte nach 5 Tagen Cortison etwas positives gemerkt werden?”
Manche Sehnerventzündungen brauchen länger. Nach fünf Tagen sollte aber z.B. eine Blindheit so weit nachgelassen haben, dass mit dem betroffenen Auge wieder Hell und Dunkel unterschieden werden können. Möglicherweise heilt sie ganz aus, möglicherweise nicht.
Ich habe durch einige (allerdings undiagnostizierte und unbehandelte) Sehnerventzündungen Dauerschäden zurückbehalten (Visusverlust, Gesichtsfeldeinschränkung). Bevor ich die MS-Diagnose hatte, bekam ich keine Behandlung.
“Habt ihr eigentlich einen Schwerbehindertenausweis? Wenn ja wie hoch ist die %zahl und was habt ihr für Vergünstigungen dadurch?”
% gibt es nicht, der GdB ist keine %-Angabe, sondern ein “Grad”. Ich habe erst einen SBA beantragt, als ich wirklich behindert war. Mir wurde abgeraten, einen zu beantragen, solange ich noch keine Chance habe, einen zu bekommen. Aufgrund der Diagnose und ohne Einschränkungen bekommt man erst mal meist GdB 30, damit kann man sich zwar am Arbeitsplatz gleichstellen lassen, aber dann muss man sich zur Schwerbehinderung (die fängt erst mit GdB 50 an) mit Verschlechterungsanträgen hocharbeiten, das war mir zu stressig.
Beim Erstantrag vier Jahre nach der Diagnose bin ich dann gleich auf GdB 80 und Merkzeichen aG eingestuft worden. (Ich habe einen raschen Verlauf.) Meine Gehstrecke beträgt an guten Tagen 10 m mit Stock, und durch die unbehandelten Sehnerventzündungen habe ich auch einen Gesichtsfeldverlust davongetragen
“Zu den Basistherapien haben wir gelesen, da muss wohl jeder seinen eigenen Weg finden”
So ist es. Man sucht sich die Therapie z.B. danach aus, wie man sie in den Alltag integrieren kann, also wie oft man spritzen will. Man entscheidet sich dann beispielsweise für täglich Spritzen und wenig Nebenwirkungen - oder für wöchentlich spritzen und starke Nebenwirkungen. Das ist Geschmackssache! Ich habe mich für alle zwei Tage spritzen und geringe Nebenwirkungen entschieden (Betaferon). Eins ist sicher: Spritzen muss der MSsie jedenfalls nicht so oft wie ein Diabetiker!
Ich habe mich, als ich die MS-Diagnose auf mich zukommen sah, gleich mal gründlich über die zugelassenen Therapien informiert, so habe ich keine Zeit mehr verloren, als die Diagnose gesichert wurde, sondern habe noch im KH sofort das Medikament verlangt, für das ich mich entschieden hatte, und zwei Tage nach der Diagnose konnte ich mit der BT anfangen.
Mein niedergelassener Neuro hat auch nur einmal einen schwachen Versuch unternommen, mich davon abzubringen und zu Cop zu überreden (nein danke, bin Allergiker und Herzpatient). Bei einem Absetzversuch des Betaferons (nach 2 Jahren Spritzen und stabilem Zustand) meldete die MS sich mit aller Gewalt und einem Hammerschub zurück. Dabei hatte es so ausgesehen, als hätte meine MS sich schon zur Ruhe gesetzt. - Ob das am Absetzen lag, wird niemand beantworten können.
“aber wie schnell muss mit der Therapie begonnen werden?”
Gerade im Frühstadium ist die entzündliche Aktivität der MS sehr hoch, auch wenn man nicht viel davon merkt, weil nur jeder siebte bis zehnte Herd sich durch einen Schub bemerkbar macht. Die MS verrichtet ihr Zerstörungswerk überwiegend im Untergrund, gerade in der Anfangsphase, wo noch keine großen Schäden entstanden sind, und man bemerkt erst im fortgeschrittenen Stadium, was alles schon kaputt gegangen ist.
Jeder Herd zerstört Nervenzellen, und jede Nervenzelle, die den Bach runter geht, ist eine zuviel. Auf wie viele man verzichten kann, muss man selbst entscheiden. Was am Ende dabei rauskommt, sieht man beispielsweise an dem armen “R”: zur Schwerbehinderung auch noch Hirnatrophie und kognitive Einschränkungen …
“Kann man zwischendrin von einer Therapie zur anderen wechseln?”
Man kann, wenn man feststellt, dass man mit dem gewählten Medikament nicht klar kommt - z.B. mit den Hammernebenwirkungen von Avonex, oder wenn es nicht stark genug wirkt für die betreffende MS. Avonex und Copaxone gelten als weniger wirkstark als Betaferon und Rebif 44. Rebif 44 ist sozusagen der “Achtzylinder”.
Betaferon hat von den Interferonen die wenigsten Nebenwrkungen. Wenn allerdings die Nebenwirkungen ganz verschwinden, und die MS trotz Spritzen weitermacht, dann empfiehlt sich ein Test auf NABs (Neutralisierende Antikörper, die beim Betaferon besonders häufig gebildet werden können). Die NABs blockieren die Interferon-Rezeptoren, dann wirkt es nicht mehr - und nebenwirkt auch nicht mehr.
Aber einfach zwischendurch mal wechseln, wie von einer Kaffeesorte zur anderen, ist natürlich nicht von Vorteil. Diesen Monat das, nächsten Monat jenes, ganz so unproblematisch ist das auch nicht.
“Ich habe gesehen es gibt Leute mit gar keiner Basistherapie, was machen die?”
Natürlich gibt es Leute, die keine BT machen. Haufenweise! Entweder, weil sie keine Indikation dafür haben, sondern eine MS, für die es keine BT gibt (PPMS), oder weil sie eine Kontraindikation haben (vom Leberschaden bis zu Suizidgedanken - dann gibt’s keine BT), oder weil sie keine entzündliche Krankheitsaktivität mehr aufweisen (und nur diese kann mit den Immunmodulatoren beeinflusst werden), sondern nur noch eine sekundäre Progredienz ohne Schübe, oder weil sie in einem Gesundheitssystem leben, wo man die Basistherapien aus eigener Tasche bezahlen muss … oder weil sie einfach nicht spritzen wollen.
Es gibt hierzulande keinen Therapiezwang - als Versicherter hat man allerdings eine Mitwirkungs- und Schadensminderungspflicht; ich finde, das sollte auch in der Krankenversicherung gelten.
Was die ohne BT machen? Na, dasselbe, was vor 20 Jahren, als es noch gar keine Basistherapien gab, alle MS-ler gemacht haben, notgedrungen. Frage einfach ein paar MS-ler, die schon länger im Klub sind, und für die die Basistherapien zu spät kamen. Erst gingen sie den Bach runter, dann gingen sie in den Ruhestand, dann gingen sie gar nicht mehr, sondern rollten, und schließlich lagen sie nur noch, erst im Bett, dann im Sarg. Aber da kommen wir alle mal hin.
Es gibt natürlich auch MS-ler, die sich alternativen Methoden zuwenden. Ob sich davon etwas auf den Krankheitsverlauf auswirkt, ist ebenso umstritten und ebensowenig beweisbar wie bei den medizinischen Methoden. Manche schwören auf Schweine-Verdauungsenzyme (Pankreatin) oder Fleischzartmacher (Bromelain) - die Wirkungslosigkeit bei MS wurde in - vom Hersteller finanzierten - Studien bewiesen -, manche auf Schüssler-Zuckertabletten (garantiert ohne Mineralsalze) oder Dr. Bachs Blumenspülwasser (garantiert ohne Blütenessenzen), oder auf homöopathisch verschütteltes Wasser mit “nichtstofflichen Schwingungen” darin, oder auf sonstige Zauberkunststücke - die, wenn man daran glaubt, alle einen Placeboeffekt haben können; ein darüber hinaus gehender therapeutischer Effekt ist nie nachweisbar gewesen.
Vorsicht vor allem, was “immunstimulierend” wirken soll. Nicht nur vor Echinacin. Es soll schon Heilpraktiker gegeben haben, die MS-Patienten zur “Regulation des Immunsystems und Neubildung von Nervengewebe” tierische Zellextrakte (z.B. aus Schafsembryonen) gespritzt haben - was verheerende Folgen hatte. Ein Kumpel von mir hat sich von einer Heilpraktikerin mit Schafs-Frischzellen in den Rollstuhl spritzen lassen. Der Schafsfötenbrei brachte sein Immunsystem zum Durchknallen.
Dagegen sind die kommerziellen Stammzellenvermarkter blutige Anfänger, z.B. ein Laden, der in einem Kölner Klinikaltbau ein paar Räume gemietet und geweißelt hat und seither Reklame für intrathekale Stammzellenbehandlungen bei MS, Schlaganfall usw. macht. Dabei werden Stammzellen aus dem Beckenkamm gewonnen, aufbereitet und in den Liquor gespritzt. Bezahlung im voraus. Die DMSG warnt davor:
http://dmsg.de/index.php?kategorie=therapien&cnr=13&anr=1794&searchkey=stammzellen&wholewords=0
Ich hoffe, euch ein bisschen weitergeholfen zu haben.
LG Bettina