Summary des Artikels ’ Multiple sclerosis progression: time for a new mechanism-driven framework’ aus The Lancet Neurology:

‘Traditionally, multiple sclerosis has been categorised by distinct clinical descriptors—relapsing-remitting, secondary progressive, and primary progressive—for patient care, research, and regulatory approval of medications. Accumulating evidence suggests that the clinical course of multiple sclerosis is better considered as a continuum, with contributions from concurrent pathophysiological processes that vary across individuals and over time. The apparent evolution to a progressive course reflects a partial shift from predominantly localised acute injury to widespread inflammation and neurodegeneration, coupled with failure of compensatory mechanisms, such as neuroplasticity and remyelination. Ageing increases neural susceptibility to injury and decreases resilience. These observations encourage a new consideration of the course of multiple sclerosis as a spectrum defined by the relative contributions of overlapping pathological and reparative or compensatory processes. New understanding of key mechanisms underlying progression and measures to quantify progressive pathology will potentially have important and beneficial implications for clinical care, treatment targets, and regulatory decision-making.’
Multiple sclerosis progression: time for a new mechanism-driven framework - The Lancet Neurology

Nachdem eine Diskussion darüber bei den pharmakritischen Ufos nicht möglich war, möchte ich diesen Ansatz hier, wo nicht (fast) alle Foristen einer medikamentösen MS-Behandlung ablehnend gegenüberstehen, noch mal zur Diskussion stellen.

Ich denke, dass es dabei nicht nur um ein ‘geschmeidigeres Bürokratiesystem um die MS besser verwalten zu können’ und um Gewinne der Pharmaindustrie geht, sondern dass dieser Ansatz auch Vorteile für Patienten haben kann, wenn sie nicht mehr in die Schublade einer MS-Form mit den dafür zugelassenen Medikamenten gesteckt werden, gerade in Fällen, wo nicht eindeutig ist, welche Form sie haben. Dass dadurch neue Absatzmöglichkeiten für Medikamente entstehen, wenn sie nicht mehr durch die Zulassung an eine bestimmte MS-Form gebunden sind, ist klar, aber für Patienten hätte es den Vorteil, dass die Behandlung flexibler, individueller gestaltet werden kann.

Dabei denke ich z.B. an das, was Maripo schreibt, dass er von verschiedenen Ärzten PPMS und SPMS diagnostiziert bekam, mit daraus abgeleiteten unterschiedlichen Therapieempfehlungen. Wäre es nicht zielführender, die Behandlung nicht an einer bestimmten MS-Form festmachen zu wollen, sondern am Verlauf und den festgestellten Schäden und Auffälligkeiten?
Ich bin mir auch bei mir nicht sicher, ob bei meiner MS-Form strenggenommen Ocrevus überhaupt zugelassen ist. Es soll die im MRT festgestellte MS-Aktivität stoppen und weitere Schübe verhindern. Das tut es bis jetzt, auch wenn ich wirklich inzwischen SPMS hätte.

Das was ich der Deutschen Übersetzung unter dem Link entnehmen konnte, sich nicht zu sehr an festgestellte Klassifizierung zu halten und den Patienten individuell zu betrachten, zu behandeln, begrüße ich sehr.

Ich glaube auch, dass es sinnfrei ist, nur nach Schema zu behandeln.

“Mein” Professor hat abgewunken, nach meiner Frage PPMS/SPMS?
Er hat gesagt, es ist egal wie es heißt.

Er hat mein vordergründiges Symptom gesehen und das will er als erstes behandeln.

Ich finde den Ansatz hochgradig ok.

Ich hoffe, meine Antwort ging jetzt nicht am Thema vorbei. :face_with_hand_over_mouth:

Man sollte zunächst versuchen.diese Thesen besser einzuordnen bevor man sie kommentiert.

Die aktuelle Forschung zu MS Therapien ist Anfang der Neunzigerjahre in den USA gestartet mit einem Fokus auf die Modulation von Th17 T Zellen, also CD4 T Zellen die interleukin 17 produzieren. Diese konnte man gut in Mausmodellen nachbauen. Klinische Studien für eine Zulassung waren zu dem Zeitpunkt aber völliges Neuland. Daher hat man damals improvisiert und neuartige Studienendpunkte wie z.B. „Schubreduktion“ definiert und künstliche Patienteneinteilungen in „schubförmige“ und „progrediente“ Patienten vorgenommen.

In der Folge konnte man die ersten Interferontherapien erfolgreich bei der FDA zulassen und auch eine Grundlage für spätere Zulassungsverfahren schaffen.

Spätere Therapien legten dann einen Fokus auf andere Ansätze wie Reduktion der B-Zellen oder Schließung der BHS. Was sich in den folgenden 20 Jahren aber nicht anpasste waren die Strukturen für Therapiezulassung oder Zuordnung der MS Patientengruppen. Und das obwohl es inzwischen viele tausende weiterer Publikationen zum Thema gab, in denen die Pathogenese und Formen der Neurodegeneration deutlich klarer beschrieben werden konnten.

Vieles hat ursprüngliche Hypothesen verändert. Wenn man beispielsweise aus der Neuropathologie weiß, dass über 80% der untersuchten „progredienten Verläufe“ tatsächlich noch aktive Läsionen hatten, dann kann man den Sinn von antientzündlichen Therapien selbst nach Ablauf einer sogenannten „schubförmigen“ Phase erkennen. Genauso sind die initalen Beschreibungen von „Autoimmunentzündungen“ ergänzt worden mit Zerstörungen des ZNS durch Zellen des unspezifischen Immunsystems wie Makrophagen oder Astrozyten. Wenn man diese Erkenntnisse zunächst aufnehmen würde, gäbe es sicherlich Möglichkeiten, eine besser angepasste Patientenbehandlung anzubieten.

Die Herausforderungen wären aber nicht nur eine generelle Bewusstseinänderung in wissenschaftlichen Kreisen sondern auch in der klinischen Praxis in manchen Ländern wie Deutschland durch eine Änderung der sehr starren Behandlungsvorgaben in die Form von Leitlinien entstehen. Das „geschmeidige Bürokratiesystem“ besteht also bereits aktuell und sollte eigentlich verändert werden.

Wer jedenfalls glaubt, dass die Forderungen im verlinkten Artikel zu einem „großen Bürokratiesystem“ führen würden, hat den Sinn eigentlich nicht verstanden. Und wer hinter allem immer nur „neue Absatzmöglichkeiten für Medikamente“ vermutet, bzw. eine permanente Verschwörung von Forschung und der kapitalistisch Industriellen Phamalobby sieht, versucht wohl eher traumatische Erfahrungen aus der Vergangenheit im Umgang mit Neurologen zu verarbeiten als Wissen beizusteuern.

Aber zum Glück gibt’s ja für alle das entsprechende Forum.

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@Marc696 Danke für die kurze historische Einordnung. Zum Thema siehe auch Is primary progressive MS a different disease?

Allerdings ist das mit der Aufnahme und Umsetzung dieser Erkenntnisse so eine Sache in D., aber auch wenn die Mühlen langsam mahlen, gibt es Bewegung (siehe etwa die neugegründete Taskforce zum Thema aHSCT, aka Stammzellentherapie).

Da die Erkrankung sehr komplex ist und auch die Forschung sich in Dingen sozusagen nicht ganz sicher ist, gibt es für Viele sicher passende hilfreiche Therapien…und für Viele nur das Versuchsmodell…jeder so und das ist vielleicht nicht ganz so ungünstig.
Den traurigsten Patienten mit dieser Diagnose, findest Du heute in einer Beatmungs-WG und eigentlich ist er ein schlechtes Ergebnis vieler tollen Medikamente…apathisch , nicht mehr am Leben teilnehmend und das mit Mitte 30 seit einigen Jahren…schöne kranke Welt.
Ohne Medikamente wären viele Erkrankungen nicht therapierbar.
Und soll doch Jeder für sich entscheiden und seine Meinung dazu bilden. Das finde ich das Schöne an dem Forum. Bin ich jetzt ein Verschwörer, egal, damit lebe ich gut. Aber interessant, was Menschen in Deinen Augen sind , wenn sie hier nicht Deiner Meinung entsprechen. Ich schätze Deine Beiträge trotzdem sehr und finde sie spannend.

Kennst Du meine Meinung?

Glaubst du zu wissen, was andere in meinen Augen sein sollen, wenn sie nicht meiner Meinung wären?

Wenn du in diesen Thread schreibst, dann vermute ich, daß du dich auf meine Antwort an Tournesol beziehst, die über Reaktionen anderer geschrieben hat. Ich habe ihr geantwortet und meine Vermutungen zum Grund beschrieben. Haben diese Personen daher eine “andere Meinung”?

Da du außerdem die Frage stellst, ob du eine “Verschwörerin” wärst, kann ich nur allgemein antworten, daß ich kein Fan von Verschwörungstheorien bin, da diese normalerweise eine Vereinfachung von komplexen Zusammenhängen sind und diese oft mit persönlichen Empfindungen vermischen.

Ich würde es hingegen vorziehen, bei der Betrachtung dem Thema die notwendige Komplexität einzuräumen und bei der Diskussion möglichst rational zu bleiben. Das wären aber Charaktereigenschaften und kein spezieller Standpunkt in einer Debatte.

Vielleicht habe ich dich aber einfach nur nicht verstanden.

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Sehr sehr schöne und treffende Definition!
Danke dafür :slight_smile:

Danke für die ausführliche Antwort. Dann habe ich das falsch verstanden. Entschuldigung.