Lieber Thomas,
ich habe mich sehr gefreut, Deine Mail vom frühen Abend zu lesen. Dein Plänemachen hat mich richtig angesteckt! Früher wollte ich immer freiklettern lernen - darauf hab ich nach Deinen Zeilen wieder Lust bekommen!
Manchmal kann man aus der MS auch eine geradezu euphorische Power ziehen: ich war im Sommer in England im Urlaub und habe dort mit einer Freundin eine sehr lange Wanderung gemacht. Gegen Schluß merkte ich, daß sie total groggy wurde und ihr die Reserven ausgingen - ich dagegen hatte das Gefühl, daß mit jedem Schritt meine inneren Akkus aufgeladen werden und ich mehr Power kriege. Ich mit meiner MS war am Ende viel fitter als sie - und das hat mir dann, wie Du Dir vielleicht vorstellen kannst, ein richtiges Siegergefühl gegeben!
Jetzt aber zu Deiner letzten Mail. Ja, an dieses “Inselgefühl” kann ich mich auch noch gut erinnern! Das wichtige ist, daß die Inseln mit der Zeit immer größer werden, daß sich Dein Körper und Deine Psyche daran erinnern, wie es sich auf der schönen Insel anfühlt, so dass dieses Gefühl auch wieder abrufbarer wird. Im selben Masse tritt dann die Angst in den Hintergrund.
Bin ich überhaupt verständlich??? Ich kann mich noch so gut an die Gefühle erinnern, aber ich kann sie schlecht ausdrücken.
Mir hat ganz am Anfang auch ein Medikament geholfen, wenn’s ganz schlimm wurde: in den ersten 2, 3 Wochen habe ich vor dem Schlafengehen gelegentlich ein Valiumderivat eingenommen (allerdings in fast schon homöopathisch niedriger Dosierung, das reichte bei mir schon - Vorsicht Suchtpotential!). Das nimmt die Angst, man träumt nicht mehr so schlecht, und über die Entspannung der Psyche kann, denke ich, auch der Körper besser heilen.
Gut, daß Dein Chef Bescheid weiß! So kannst Du auch von dieser Stelle die jetzt so wichtige Unterstützung bekommen und mußt nicht Deine Sorgen verstecken - das macht schon so vieles einfacher!
Mitoxantron ist kein neues Medikament, sondern wird schon lange für die Behandlung der MS eingesetzt. Allerdings ist es erst jetzt auch offiziell dafür zugelassen worden - und die Medien haben fälschlich den Eindruck erweckt, es handle sich um etwas neues.
Mitoxantron wird bei eingesetzt, wenn man den Eindruck hat, dass andere Methoden nicht anschlagen. Es wird m. W. im Krankenhaus intravenös verabreicht, wobei es eine Lebenshöchstdosis gibt. Das Medikament kann, soweit ich weiß, Schäden am Herzen verursachen, weshalb die Therapie genau überwacht werden muß. Bei manchen Menschen, die schon lange krank sind und deren Verlauf eher ungünstig war, kann Mito. einen zumindest zeitweise einen Stopp bewirken.
Soviel nur zu Deiner Info - ich denke nicht, daß Du in absehbarer Zeit Mito. brauchen wirst.
Eventuell wirst Du aber mit einer Basistherapie beginnen wollen - vielleicht hat man Dich schon im KKH darüber beraten. In Frage kommen Interferone (Rebif, Avonex und Betaferon) und Copaxone (Glatirameracetat). Sie werden allesamt gespritzt - das kann man problemlos selbst. Sie reduzieren im Schnitt die Schubhäufigkeit um 30% - wenn Du Glück hast, auch um viel mehr!
Aber vorerst mußt Du nichts überstürzen. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Basistherapie und der Auswahl eines Medikaments kann Dich ein Neurologe beraten. Wichtig ist m. E., daß er Erfahrung mit den Medikamenten hat. Die erste Neurologin, an die ich vor 1,5 Jahren geriet, hat z. B. kategorisch ausgeschlossen, mich mit Copaxone zu behandeln, da sie noch keine Erfahrung damit hatte. Die richtige Auswahl des Neurologen spielt also eine große Rolle.
Nur wenige niedergelassene Neurologen stehen der Forschung so nahe, daß sie Dich auf neue Studien, die noch Teilnehmer suchen, aufmerksam machen können. Auf der HP der DMSG wird aber immer wieder über neue Studien berichtet und auch mitgeteilt, wofür noch TN gesucht werden.
Einen etwas anderen und, wie ich finde, sehr wohltuenden Blick auf die MS bietet Wolfgang Weihe. Er ist Neurologe mit langer MS-Erfahrung und arbeitet an der auf MS spezialisierten Evers-Klinik (ich glaube, auf sein Büchlein habe ich Dich schon hingewiesen). Kennst Du sein Forum schon? Dort kann man ihm auch direkt Fragen stellen: http://www.klinik-dr-evers.de/
Und wenn Du sonst nochmal was über MS lesen willst, was Dich nicht runterzieht, empfehle ich Dir die HP von Ivonne Radtke: http://www.ivonne-radtke.de/
Jetzt wünsche ich Dir erst mal, daß Du gut durch diese Nacht kommst, und daß Dir morgen Dein Chef und Deine Kollegen einen schönen Empfang bereiten, so daß Dir nach und nach die so ersehnte Rückkehr in die Normalität gelingt.
Herzliche Grüße,
Johanna