Hallo LaLeLu, „nur der Mann im Mond schaut zu …“ träller
ich bin doch auch kein Arzt, auch sonst nicht vom Fach - bin aber Allergikerin seit über 40 Jahren. Seither habe ich manches Cortison am eigenen Leibe erlebt, die meisten oral, manche auch inhaliert oder als Salbe angewendet. In meiner Verwandtschaft gab/gibt es noch mehr Allergiker; schon mein Vater wurde mal mit Cortison bei einer Anaphylaxie dem Tod gerade nochmal von der Schippe geholt.
Bei meinem Diagnose-Schub erhielt ich Infusionen mit Prednisolon - 500 mg an vier (geplant: fünf) aufeinanderfolgenden Tagen; dann hatte ich solches Herzrasen, dass die Infusionsserie abgebrochen werden musste und ich um ein Haar auf die Intensivstation verlegt worden wäre.
Ich hatte im Langzeit-EKG einen Ruhepuls von 220; ab 200 besteht Lebensgefahr. Ich wurde daraufhin mit einem Betablocker behandelt, und musste an meinen schubbedingten Klinikaufenthalt noch eine Woche dranhängen lassen, weil die Kardiologen mich nicht entlassen wollten.
Leider hatte ich im KH keinen Internetzugang, sodass ich erst zu Hause recherchieren konnte, was bei mir falsch gelaufen war. Ich hatte Prednisolon bekommen, das sehr starke mineralocorticoide Nebenwirkungen hat, d.h. es hemmt die Natriumausscheidung und verstärkt die Kaliumausscheidung. Daher steht in der Fachinformation zu Prednisolon auch ausdrücklich, dass der Serumkaliumspiegel zu überwachen ist
Das hat man bei mir nicht gemacht, und ich glaube, das wird generell nicht regelmäßig gemacht: „Wir lesen keine Fachinformation, wir können’s so!“, oder: „Das ist nur nötig bei einer Langzeittherapie, aber doch nicht bei einem kurzen Stoß!“, oder: „Bei einer kurzen Stoßtherapie spielen die mineralocorticoiden Nebenwirkungen doch keine Rolle!“
Das ist die herrschende Auffassung in Neurologenkreisen. Bei mir HABEN diese NW aber eine Rolle gespielt, und wenn ich ein gefügiges Lämmlein von Patientin wäre und keine renitente alte Kuh, dann hätten die es fertiggebracht, mir auch die fünfte Ladung noch reinzupumpen, und ich wäre womöglich wirklich auf der Intensivstation gelandet!
Wer sich nicht gegen solche Neurologen wehrt, lebt verkehrt! Muss es denn wirklich erst zu Prozessen wegen Behandlungsfehlern kommen, bevor diese Herrschaften geruhen, sich mal weiterzubilden?
Dabei sind diese Nebenwirkungen seit Jahrzehnten bekannt, und auch die Risiken einer Hypokaliämie (die bis zum Herzversagen reichen können). Ich glaube, diese Wurstigkeit hat sich nur deswegen so breit machen können, weil wir MS-PatientInnen uns zu wenig wehren. Der Patriarch im Weißkittel ist inzwischen aber ein Auslaufmodell!
Ich habe jedenfalls seit meiner Kardio-Krise beim Diagnose-Schub kein nicht-fluoriertes Glucocorticoid wie Prednisolon mehr in meinen Körper gelassen. Nur noch fluorierte, ohne Herzrisiko, wie Betamethason, Dexamethason, Triamcinolon. Als ich 2007 meinen Spritzpausen-Schub hatte, wollte mein Neuro mich an die Prednisolon-Tanke hängen, aber ich habe mich geweigert.
Ich hatte noch Dexamethason-Tabletten vom Zahnarzt, die habe ich dann genommen, und als ich bei meinem Spritzpausen-Schub meinem Hausarzt meine Probleme mit dem Prednisolon schilderte, hat er mir aus seinem Fundus „verwaister“ Medikamente gleich mal eine Packung Dexamethason-Tabletten zur Selbstmedikation geschenkt. Ohne mir dazu groß einen Vortrag zu halten - er wusste ja, dass ich damit umgehen kann. Er gehört schon der Ärztegeneration an, die mit „mündigen Patienten“ gut zurechtkommt.
Die Glucocorticoide Prednisolon und vor allem Methylprednisolon, die seit Anfang der 90er Jahre in der Therapie des akuten MS-Schubs Standard sind, sind nicht fluorierte, kurz wirkende Glucocorticoide mit mineralocorticoiden Nebenwirkungen, wobei diese NW bei Prednisolon noch deutlich stärker sind als bei Methylprednisolon.
Wenn es schon eines von diesen sein muss, dann ist auf jeden Fall der Serumkaliumspiegel im Auge zu behalten und man sollte zur Verringerung der Wassereinlagerungen möglichst natriumarm essen. Sich dazu ein Kaliumpräparat verschreiben zu lassen („zur Hypokaliämieprophylaxe unter Glucocorticoidstoß“) ist auch empfehlenswert.
Das Problem bei der Schubtherapie im Krankenhaus ist, dass der Klinikbetrieb es meist nicht erlaubt, das Cortison im Einklang mit dem zirkadianen Rhythmus der körpereigenen Cortisolproduktion in den Nebennierenrinden zu verabreichen. Die körpereigene Produktion erreicht zwischen 6 und 8 Uhr morgens ihren Höhepunkt, und zu dieser Tageszeit sollte es auch eingenommen werden.
Ich habe aber im KH die Infusionen zwischen 11.00 und 12.30 Uhr bekommen (z.Teil sogar nach dem Mittagessen!). Eine frühmorgendliche Verabreichung ist aber auch nicht realisierbar, wenn man sich die Infusionen beim Hausarzt geben lässt. Da muss man ja erst mal hinkommen, und die Praxis muss erst mal aufmachen, und dann wird es eigentlich auch schon zu spät.
Da oral verabreichtes Cortison, wie sich längst bestätigt hat, ebenso gut wirkt wie infundiertes, kann man eine Schubtherapie ebenso gut mit Tabletten machen, die man frühmorgens zu Hause einnimmt. Außerdem halte ich die Overkill-Dosen, die seit der hirnrissigen Optikusneuritis-Studie von Beck et al. verabreicht werden, für unnötig. Ich glaube, dass diese Hammerdosen mehr schaden als nützen, nicht nur den Knochen, sondern z.B. auch der Leber.
Einen Stoff, von dem unser Körper täglich in den Nebennierenrinden eine Dosis produziert, die 7,5 mg Prednisolon äquivalent ist, muss man nicht grammweise reinpumpen. Dass man an so hohen Dosen nicht stirbt, heißt nicht, dass sie nötig sind.
Ich bevorzuge daher die Schubtherapie, wie man sie bis Anfang der 90er Jahre gemacht hat (und an manchen Kliniken noch heute durchführt), auch wenn manche Neurologen sie als „veraltet“ bezeichnen: mit Dexamethason oral.
Ich vertrage es sehr gut, da es keine mineralocorticoiden Nebenwirkungen hat. Als Standarddosis für eine orale Stoßtherapie mit Dexamethason gilt 40 mg pro Tag, das sind beim üblichen Tablettenkaliber fünf Tabletten à 8 mg.
40 mg Dexamethason sind auch die Standarddosis bei Anaphylaxie. In diesem Kaliber gibt es Fertigspritzen; die hat der Notarzt im Koffer, und der Radiologe hat sie auch griffbereit, falls mal jemand das Kontrastmittel nicht verträgt.
Es gibt übrigens auch noch eine 100-mg-Dexamethason-Spritze; das ist aber eine Dosis, die nur ganz ausnahmsweise bei schweren Schockzuständen und stationärer Behandlung gebraucht wird. Schon 40 mg Dexamethason sind eine hohe Dosis; sie ist dem Vierzigfachen der körpereigenen Tagesproduktion an Cortisol in den Nebennierenrinden äquivalent!
Für eine Cortisontherapie gibt es nur eine Regel, auf die man sich in den vergangenen Jahrzehnten geeinigt hat, seit es diese Stoffe gibt: Die Glucocorticoidtherapie wird empirisch und individualisiert durchgeführt, um eine effektive Behandlung mit der niedrigst möglichen Dosis zu erreichen und die Nebenwirkungen gering zu halten.
Das bedeutet, dass für jede Indikation innerhalb eines allgemein empfohlenen „Dosierungsfensters“ eine individuelle Dosis für jeden Patienten gefunden werden muss. Daher ist es selbstverständlich auch erlaubt, weniger zu nehmen, wenn man weniger braucht.
Beim Dexamethason reicht das „Dosierungsfenster“ bis 40 mg/Tag. Ich brauche weniger, mir reichen 24 oder ausnahmsweise mal 32 mg. Meist gehe ich nach drei Tagen mit der Dosis runter, auch, weil sich das Dexa dann auf meine Spastik auswirkt und die soweit abschwächt, dass ich Puddingbeine bekomme und nicht mehr stehen kann.
Ich muss ohnehin jeden Monat zum Blut-Abnehmen, wegen meiner Marcumarisierung, und nehme außer Betaferon noch ein paar Medikamente, lasse vierteljährlich die Leberwerte checken, aber meine Leber verträgt alles gut.
Vielleicht sind es nur die hohen Dosen, die deine Leber nicht mag? Nach meiner Überzeugung sind die unnötig. Eine so riesige Cortisondosis kann im akuten Schub nach meiner Überzeugung nicht mehr bewirken als die Dosis, die zur Behandlung eines anaphylaktischen Schocks ausreichen würde.
Cortison im akuten Schub hat die Aufgabe, die Blut-Hirn-Schranke zu schließen, um das Eindringen weiterer Entzündungszellen in den Liquorraum zu stoppen. Es kann kein Myelin flicken, nichts reparieren oder heilen. Das kann nur der Körper selbst!
Die „Blut-Hirn-Schranke“ wird hauptsächlich vom Endothel – der innersten Zellschicht der kleinsten Hirngefäße – gebildet und stellt die Barriere zwischen dem Blut- und dem Liquorraum dar.
http://de.wikipedia.org/wiki/Endothel
Die Zwischenräume zwischen den Zellen des Endothels werden von sogenannten Tight Junctions gebildet, „dichten Verbindungen“, das sind schmale Bänder aus Proteinen, die die Zellen des Endothels miteinander verbinden und dadurch dessen Durchlässigkeit regulieren.
http://de.wikipedia.org/wiki/Tight_Junction
Dies geschieht durch das Transmembranprotein Occludin, das von den Endothelzellen gebildet wird.
http://de.wikipedia.org/wiki/Occludin
Glucocorticoide fördern die Ausschüttung von Occludin, machen also die Blut-Hirn-Schranke dichter. Schon seit den 1970er Jahren werden sie darum bei Erkrankungen mit geschädigter Blut-Hirn-Schranke erfolgreich eingesetzt.
http://opus.bibliothek.uni-wuerzburg.de/frontdoor.php?source_opus=5668&la=de
Wieder ein Beispiel, dass man schon weiß, DASS ein Medikament wirkt, lange bevor man erklären kann, WIE es wirkt.
Occludin (eigentlich gibt es mehrere Occludine) wurde aber erst 1993 von einer japanischen Forschergruppe erstmals beschrieben. Gut möglich, dass ältere Neurologen nichts davon mitbekommen haben und daher nicht erklären könnten, wie Cortison im akuten Schub wirkt.
Ich bin davon überzeugt, dass die Cortisondosen, die man bis Anfang der 90er Jahre zur Schubbehandlung verabreicht hat, zur Abdichtung der Blut-Hirn-Schranke völlig ausgereicht haben, und dass die irrsinnigen Hammerdosen, die seit der Beck-Studie Standard sind, unnötig und schädlich sind. Vor allem, wenn dann auch noch ausgeschlichen wird. Ich habe den Eindruck, dass Gelenkkopfnekrosen und Augenschäden bei den MS-lern seither häufiger geworden sind!
Der einzige Vorteil, den Methylprednisolon gegenüber Dexamethason hat, ist, dass es nicht plazentagängig ist. Eine Schubbehandlung mit Dexamethason kommt in der Schwangerschaft nicht in Frage. Aber die Cortison-Analphabeten unter den Neurologen wüssten wahrscheinlich nicht einmal das.
Sehr gute Informationen zur Schubtherapie enthält die Broschüre des UKE:
http://www.gesundheit.uni-hamburg.de/upload/Schubtherapie_der_MultiplenSklerose.pdf
(Stand vom Juni 2011)
Liebe Grüße
Renate