Hallo Kathy und alle anderen Betroffenen,
aus aktuellen Anlaß poste ich mal hieran, da ich zu dem Thema nichts mehr im Forum gefunden habe. Meine Frau hat MS seit 9 Jahren (zumindest seit dem diagnostiziert). Nach einigen Schüben und der Angst, das es schlimmer werden kann, wechselte sie von Betaferon auf Tysabri. Betaferon verstärkte bei ihr auch krankheitsbedingte Depressionen. Sommer 2007 hatte sie einen Schub, jedoch ohne größere bleibende Auswirkungen.
Sie erreichte bei ihrem Neurologen, dass sie im Herbst dann Tysabri verabreicht bekam. Sie hatte dadurch in praktisch beschwerdefreies Leben, wir gewöhnten uns daran. Sie konnte sogar wieder joggen, was wir mit Waldläufen in unserer Wohnumgebung genießen konnten. Sie arbeitete als Selbständige Meisterin und konnte so auch ihren Beruf ausüben, ohne Angst, das es nicht mehr gehen würde. Wir wagten uns daher sogar, ein Haus zu kaufen. In der Vorweihnachtszeit 2010 bemerkte sie aber das etwas nicht stimmte, irgendwas spürte sie in ihrem Kopf, konnte aber nicht sagen was. Sie meinte, es könnte ein vom Tysabri unterdrückter Schub sein. Dieses Gefühl wollte nicht weg gehen.
Zu Ostern 2011 verstärkte sich diese Gefühl plötzlich drastisch, innerhalb weniger Tage fiel ihr das Gehen schwer, es ging dann nur noch mit Mühe mit Hilfe ihre Walkingstöcke, mehr als 30m gingen nicht mehr. Ihr Neurologe, der ihr das Tysabri verabreichte, empfahl ihr, in die Klink zu gehen, sie wollte nicht, wohl auch aus Angst. Schob vor, sie müsse noch eine Kollegin vertreten, wollte noch unbedingt eine Hochzeitsfeier mitmachen. Wir hatten bereits einen Tanzkurs dafür gemacht, doch sie konnte nicht mehr tanzen, sondern nur noch sehr langsam an den Stöcken gehen. Ihr Neurologe meinte, das Tysabri nur zu 70% Schübe unterdrücken könne. Aber warum so plötzlich und unerwartet? Bei ihr wurde auch ein JC-Test gemacht. Zwei Labore, zwei Meinungen, das eine testete positiv, das andere negativ. Der Neurologe brach die Behandlung aber nicht ab, sondern verabreichte ihr nach einer Gabe Cortison (500ml) das Tysabri weiter, in der Hoffnung es würde den vermeintlichen Schub wieder eindämmen.
Leider tat es das nicht, das Gehen fiel ihr mittlerweile so schwer, das es nur noch wenige Schritte mit fremder Hilfe ging, alleine konnte sie gar nicht mehr gehen. Das MRT zeigte eigenartige Girlanden im Kleinhirnbereich und einen weißgefärbten Kleinhirnstamm.
Sie kam ins Bürgerhospital. Grausliges Krankenhaus mit einer einzigen(!) Toilette im Gang. Essen schlecht, Bettnachbarin machte viel Unruhe, für MS-Kranke geradezu Gift. Die wußten auch nicht recht, taten die Symptome als Schub ab, verordneten erst nochmal 500ml und dann nochmal 1000ml Cortison und verordneten Reha im Quellenhof. Dort bekam sie nochmal 2000ml Cortison, Höchstdosis, doch kein Effekt.
Der immer sich weiter verschlechternde Zustand fesselte meine Frau fortan an den Rollstuhl. Im Rollator konnte sie noch eine Zeit lang kurze Wege gehen, aber sie bekam nun zunehmend Ataxie, wurde einfach zu wackelig zum gehen. Der Quellenhof kann nur Symptome therapieren, jedoch nicht die Ursachen. Wenn man die nicht kennt, helfen Therapien nur wenig. Sie kam zurück nach Stuttgart ins Marienhospital. Vornehmlich junge Ärzte, engagiert, etwas zu tun. Doch schon bald waren sie mit ihrem Doctorlatein auch am Ende. Liquor hatte 1-2 T-Zellen. Es könnte ein Schub sein, oder auch PML. Sie bekam dann noch eine Blutwäsche. Der Zustand besserte sich erst ein wenig, nach dem Krankenhaus verschlechterte er sich doch weiter drastisch.
Die Ataxie erreichte auch die Halsmuskulatur, sie bekam ein leichtes Kopfwackeln, wie man es von Parkinsonerkrankten kennt. Ihre Sehfähigkeit nahm ab, fing an Doppelbilder zu sehen, ihre Sprache verschlechterte sich, sie nuschelte die Konsonanten so undeutlich, das selbst konzentriertes Zuhören sie kaum noch verstehen ließ. 
Wir gingen wieder zum Neurologen. Ich bin medizinischer Laie. Da wir das irrtümlich für einen nicht einzudämmenden Dauerschub hielten (bei schubförmiger MS ist schwere und Dauer aber sehr ungewöhnlich, hatte sie auch früher nie in solcher Form) forderten wir den Umstieg auf Fingolimod. Da nicht genug Patienten zusammenkamen, um eine Gruppen-Erstverabreichung wegen der Überwachung zu veranstalten, kam meine Frau im Spätherbst nach Dietenbronn.
Dort angekommen, wurde sie untersucht. Alle bisherigen MRT-Bilder angeschaut, Krankeitsverlauf, Arztberichte, etc. Es zeichnete sich für den Stationsarzt immer mehr ab, das die Symptome für einen MS-Schub sehr ungewöhnlich sind. Eine neue MRT bestätigte, das nur das Kleinhirn betroffen ist. Das Kleinhirn zeichnet sich für die erlernte Feinmotorik verantwortlich. Daher auch die Bewegungs, Sprech- und Sehstörungen. Meine Frau sah nur noch Doppelbilder, das Gehirn konnte die Einzelbilder nicht mehr übereinanderlegen, wie bei gesunden Menschen. Es wurden von dort auch Kollegen in Deutschland und Ausland konsultiert. Es stellte sich heraus, es ist doch PML. JC erneut positiv getestet, im Liqour 14 T-Zellen.
Die PML ist bei ihr jedoch auf das Kleinhirn beschränkt, so einen Fall gab es bisher wohl nicht. Das regte dann auch rasch die Aufmerksamkeit von Prof. Mauch, dortiger Chefarzt an. So meinten die Ärzte, das es ein Glücksfall im Unglück war, das kein Fingolimod verabreicht wurde, das hätte alles nur noch schlimmer gemacht und wäre weit schwieriger wieder aus dem Körper zu bekommen als Tysabri. Stattdessen versucht man den JC-Virus im Gehirn durch die körpereigenen Abwehrkräfte wieder in Schach zu bekommen. Die wurden durch das tysabri im Gehirn ja unterdrückt und gaben dem JC-Virus erst die Chance, sich dort einzunisten. Jeder 2. Mensch soll ja dne JC in sich tragen, nur bei einem gesunden Immunsystem kein Problem.
Durch die Verabreichung von Immunglobuli versuchte man nun, den Abwehrkräften bei ihrer Regeneration einen Anschub zu geben. Es soll angeblich schon zwei solche PML-Fälle dort gegeben haben, denen ähnliches widerfahren ist und weitgehend wieder hergestellt werden konnten. Das ist noch alles medizinisches Neuland und es gibt sehr wenig Erfahrungswerte. Heilbar ist das nicht und es gibt auch keine Garantieen, das es gelingt, meine Frau wietgehend wieder herzustellen. Sie kämpft nun seit einem 3/4-Jahr sehr tapfer dagegen, hat schon viel vor Verzweiflung geweint, gefangen in ihrem Körper. Denn auch wenn ihr das Sprechen schwerfällt und manch Fremder glauben könnte, geistig behindert…geistig ist sie fit. Auch alle Bewegungsanlagen sind da. Nur an der Koordination hapert es. Jetzt befindet sie sich in der Rehe in den Schmiederkliniken, doch die sind mehr auf Schlaganfälle als MS spezialisiert. Entsprechend viele alte Leute dort. Aber die Therapeuten sollen nach Aussage meiner Frau recht gut sein.
Sie macht kleine Fortschritte. 8 Wochen nach Diagnose kann sie mittlweile ein klein wenig besser Sprechen. Das Sprechen ist bei ihr abgehackt monoton, die Sprachmelodie fehlt weitgehend. Das Sehen wird etwas besser und sie erträgt auch wieder das Hören von Musik. Aber mit Laufen hat sich leider noch nichts getan. Lesen kann sie nur kurze Texte, aber keine Bücher, dazu ist das Sehen noch zu anstrengend.
So das war jetzt viel Text, aber jetzt habt Ihr mal einen PML aus direkter Nähe erfahren können.
Mein guter Rat: Tysabri ist ein tolles Medikament, aber nur auf Zeit, sonst schließt Ihr damit einen Pakt mit dem Teufel und er kommt. Auch Fingolimod ist nicht viel besser, nur anders. Das sind alles nur Lösungen auf Zeit, daher rate ich dringend eine umfassende Untersuchung nach 2 Jahren. So lange Ihr sonst mit den Schüben klar kommt, versucht ohne das Teufelszeug auszukommen. In den meisten Fällen kann sich ein Schub wieder weitgehend zurückbilden, bei PML sieht das nicht mehr so gut aus. Zudem muß meine Frau derzeit auf MS-Suppressiva verzichten, die Gefahr eine Schubes scheint mir aber in seinen Auswirkung geringer als PML. Die Gefahr besteht, das ihre spastischen Störungen auch dauerhaft bleiben können. Ein hoher Preis für gut drei Jahre schubfreies Leben. Tysabrie wie Fingolimod sind teuer, viele verdienen gut daran, die Patienten greifen aus Angst zu jedem Strohhalm, gehen daher oft hohe Risiken ein. Ich verstehen, das es für jeden Einzelnen sehr schwer ist, das abzuwägen. Im Rollstuhl durch MS oder durch das Medikament, was ist schlimmer? Schwer zu beantworten.
Gruß
Andre, Ehemann der hier beschriebenen Patientin (sie selbst kann derzeit nicht schreiben, auch nicht am PC)