Hallo zusammen,
mein Name ist Christian, ich bin Ende 44 und hatte Mitte Oktober 2023 die Diagnose MS. Erster Schub, der zur Untersuchung und Diagnose führte, war eine relativ milde Sehnerventzündung. Keine Schwellung an der Netzhaut, daher auch im Laser-Scan beim Augenarzt nicht sichtbar und keine Schmerzen beim Bewegen der Augen, etwas blassere Farbsicht auf dem betroffenen Auge und über einem Teilbereich des Sehfelds eine Art gelbstichige, milchige “Wolke”. Obwohl eher mild, hatte sich die Entzündung allerdings längere Zeit nicht zurückgebildet. Das dauerte etwa 6 Wochen und es waren insgesamt 8000 mg an Cortison nötig (erst 5x und drei Wochen später noch 3x täglich je 1000 mg). Nun ist das Auge nahezu wieder so gut wie vorher (98 %, es können laut Neurologin auch noch 100 % werden). Im MRT wurden nur kleine Läsionen im Gehirn gefunden, von der Größe 1 mm und kleiner. HWS und BWS sind noch komplett frei von Läsionen. Nun besteht der Anfangsverdacht einer mild bzw. langsam verlaufenden, schubförmigen MS (sowohl die Neurologen bei meiner Erstuntersuchung im Krankenhaus als auch meine Neurologin schätzen es so ein). Ob wirklich langsam verlaufend oder vielleicht doch schneller verlaufend und nur sehr früh erkannt, kann sich m. E. aber wohl erst beim nächsten MRT im Februar 2024 mit Sicherheit herausstellen.
Meine Neurologin empfahl mir als Basismedikation für eine Eskalationstherapie Tecfidera, aufgrund guter Erfahrungen mit anderen MS-Patienten. Ich hätte schon fast mit der Therapie begonnen, da stieß ich im Internet zufällig auf die Indikationstherapie, auch bekannt als “Hit hard andy early”. Das bedeutet, direkt mit hochwirksamen Medikamenten in die Therapie einsteigen und die Krankheit von Anfang an so stark ausbremsen wie möglich, um gleich zu Beginn die Behinderungsprogression und Schubanzahl möglichst niedrig zu halten. Die Studienlage dazu ließt sich vielversprechend, demnach kommt es zu deutlich weniger Schüben, zu deutlich weniger Behinderungsprogression und fast 8 von 10 Patienten sollen laut (nicht unabhängiger) Studie vom Kesimpta-Hersteller Novartis NEDA-3-Status erreichen (keinerlei Zeichen von Krankheitsaktivität über 5 Jahre). In Schweden werden bereits 34,5 % aller MS-Patienten mit der “Hit hard and early” Methode behandelt. Ideal für diese Methode ist, therapienaiv zu sein, also noch ohne jede Vorbehandlung mit anderen Medikamenten. Dann ist der Erfolg den Studien nach am größten.
Anbei ein informativer Artikel zu “Hit hard and early”.
Ärzteblatt 2023: Aktive schubförmige Multiple Sklerose: Langzeitdaten zu Ofatumumab
Die Methode ist allerdings nicht konform mit der Behandlungsleitlinie der DGN. Ich wollte nun aber mit Kesimpta starten. Meine Neurologin zeigte Verständnis, möchte mir das starke Medikament aus haftungsrechtlichen Gründen aber nicht als Erstlinientherapie verschreiben, da sie persönlich haftbar gemacht werden könne, falls ich z. B. mit einem schwer verlaufenden Infekt auf der Intensivstation lande. Das sei rechtlich so, selbst wenn ich schriftlich die volle Verantwortung übernehme. Wenn die Rechtslage tatsächlich so ist, kann ich sie da schon verstehen. Sie warnte mich, dass ich bei aggressiven Immunsuppressiva, die das Immunsystem stärker herunterfahren, anfälliger für Infektionen und schwere Verläufe bin. Ich bin z. B. nicht gegen Corona geimpft (das soll einfach jeder selbst entscheiden, hab halt persönlich so gar kein Vertrauen in die neuartigen, schnell zugelassenen mRNA-Präparate, m. E. noch nicht marktreif und nicht sicher). Bin kein Impfgegner und ansonsten gegen alles geimpft, was hierzulande so üblich ist. Grippeimpfung hatte ich allerdings auch noch nie, sah da nie einen Sinn für mich drin. Hatte seit 7 Jahren keine Erkältung oder Grippe mehr und nur einmal Corona. Das verlief bei mir so mild und kurz, dass ich es nicht fassen konnte, dass das wirklich Corona sein soll. Bis auf MS ist mein Immunsystem wohl ganz gut in Schuss (dafür tue ich auch etwas, durch regelmäßigen Waldlauf zu jeder Jahreszeit). Noch hat es zumindest hohe Abwehrkraft, ohne Immunsuppressiva. Meine Neurologin meinte, ich wäre der ideale Kandidat für das nicht hochwirksame Tecfidera, ich hätte Glück im Unglück, da mein erster Schub mild war und die MS sehr früh erkannt wurde. 80 % ihrer MS-Patienten seien über Jahre hinweg stabil mit Tecfidera.
Sie versteht aber, wenn ich “Hit hard and early” machen möchte und verweist mich auf eine MS-Ambulanz. Dort soll ich mich ggf. vorstellen, noch einmal beraten lassen und evtl. können die dort dann eine Indikationstherapie ggü. der Krankenkasse begründen. Sie als niedergelassene Ärztin könne das nicht. Ob die Krankenkasse die teurere, nicht leitlinienkonforme Indikationstherapie zahlt, sei aber womöglich dennoch fraglich (15.600 € p. a., statt 12.000 €). Sollte ich mich doch noch für Tecfidera oder ein anderes Basismedikament entscheiden, könne ich jederzeit ein Rezept von ihr haben.
Nun bin ich hin- und hergerissen? Was würdet Ihr an meiner Stelle tun? Erstmal mit Tecfidera beginnen? Sollte ich bereits im nächsten Jahr wieder einen Schub haben, könnte ich sofort Kesimpta von meiner Neurologin erhalten. Ein Umstieg ist nach zwei Schüben innerhalb von 12 Monaten konform mit der neuesten DGN-Leitlinie 2023. Allerdings wäre ich dann nicht mehr therapienaiv. Oder soll ich noch weitere Zeit unbehandelt verstreichen lassen und es über eine MS-Ambulanz versuchen, möglicherweise im nächsten Jahr mit Kesimpta und “Hit hard and early” zu starten? Das kann dann allerdings ggf. auch noch mehrere Monate dauern, bis das durch ist. Meine MS-Diagnose war vor 8 Wochen und ich habe immer noch keine Medikamente genommen.
Ich fragte meine Neurologin auch nach Vumerity. Das ist quasi das “neue, verträglichere Tecfidera” und nur relativ wenig teurer (13.000 € p. a. statt 12.000 €). Das könne ich aber nur bekommen, wenn ich das günstigere Tecfidera nicht vertrage, nicht gleich von Anfang an. Weil es nicht besser wirkt und nicht generell bei jedem milder ist, würden die Krankenkassen erstmal nur das etwas günstigere Präparat zahlen und würden nur bei Unverträglichkeit einem Wechsel zustimmen. Ist das tatsächlich so? Weil es zumindest vom Hersteller direkt als Erstlinientherapie empfohlen wird und es scheinbar ja manche, neue MS-Patienten auch direkt von Anfang an bekommen, was man hier so liest. Bedeutet ggf. eine spätere Medikamenten-Umstellung nicht auch, dass man erstmal wieder für einige Zeit keine Wirkung mehr hat oder wäre das in dem Fall nicht so, da der vom Körper gebildete Wirkstoff dieser beiden Prodrugs identisch ist?
Hat jemand Erfahrungen mit Vumerity? Meine Neurologin hat z. B. jemanden umgestellt, der mit Tecfidera Probleme hatte, der aber nun Vumerity auch nicht besser vertragen soll.
Ich habe ab und zu Magen-Darm-Beschwerden und nehme daher 2 - 3x pro Jahr für einige Tage Omeprazol ein. Könnte man das evtl. als Begründung heranziehen, direkt mit Vumerity anzufangen? Hier ein kurzer Artikel zu Vumerity vs. Tecfidera: Kurz informiert
BTW: Stimmt es, dass Patienten, bei denen MS erst in späterem Alter auftritt, ein höheres Risiko für schnell voranschreitende Verläufe haben? Ab welchem Alter gilt das? Das stand einmal eher beiläufig in einem Artikel, ohne weitere Angaben. Ich bin zwar noch kein alter Mann, allerdings wird MS ja meist zwischen 20 und 40 Jahren diagnostiziert, später nur noch relativ selten. Meine Neurologin meint, Ü50 könne MS auch milder verlaufen, könne mit Medikation dann bei manchen Patienten auch ganz zum Stillstand kommen, da das Immunsystem in höherem Alter oft eher nicht mehr so stark überschießt.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Mit meiner Neurologin bin ich sehr zufrieden und sie scheint auch einige Erfahrung mit MS zu haben. Ich fühle mich dort wohl und ernstgenommen. Sie macht alles sehr genau, keine halben Sachen. Sie schickte mich direkt in’s Krankenhaus, riet mir von langwierigen, ambulanten Untersuchungen ab (war absolut richtig, im Krankenhaus wurde ich genauestens in kurzer Zeit durchgecheckt und so bekam ich auch direkt Cortison). Sie hat mich gut beraten, alle nötigen Blutuntersuchungen gemacht (JC-Virus, HIV, Hepatitis etc., dabei stellte sich heraus, dass ich JC-positiv bin). Sie ließ sicherheitshalber auch noch die BWS im MRT untersuchen (das Krankenhaus untersuchte nur Gehirn und HWS). Ich vertraue Ihr, bin nur etwas nervös und verunsichert. Vielleicht hätte ich auch nicht so viel googeln sollen? Ich möchte halt alles richtig machen und wünsche mir, möglichst lange unter einem EDSS-Wert von 4 zu bleiben.