Schönen guten Tag in die Runde!
Ich lese hier schon einige Zeit mit und würde mich nun auch gerne austauschen. Ich finde es toll, dass es diese wertvolle und informative Seite und diese Community gibt.
Einleitend möchte ich vorweg schicken, dass ich hier Niemandem zu nahe treten möchte. Falls meine nachstehenden Formulierungen unglücklich gewählt sein sollten, bitte ich gleich hier um Entschuldigung!
Es kann auch sein, dass dieses Thema schon öfter im Forum aufgetaucht ist und ich es nur nicht gefunden habe und nun einen weiteren Beitrag dazu erstelle.
Ich bin neu hier und Lebensgefährte einer MS-Patientin. Ich habe meine Partnerin bereits mit MS kennengelernt und beschäftige mich seither mit der Materie.
Als ich meine Partnerin kennengelernt habe, hat sie Copaxone gespritzt - dies allerdings nur mehr sporadisch, weil sie es über die Jahre einfach nicht mehr geschafft hat, sich täglich eine Spritze in diverse Körperstellen zu jagen.
Ich habe dann versucht, zu verstehen, wie die Medikamente wirken und wie deren Wirksamkeit einzuschätzen ist. Einfach, um für sie persönlich die beste Medikation zu ergründen - weil die Meinungen der Fachärzte sehr divergierten und die Erklärungen teilweise (für mich als Techniker, der gerne alles verstehen möchte) nicht schlüssig waren. Mit jedem neuen Arzt musste man sich also selbst intensiver mit den Therapien auseinandersetzen, um aus dieser Flut an Meinungen die vermeintlich (für einen persönlich) richtige zu finden.
Was ich für mich bisher mitgenommen habe (Korrekturen gerne erbeten, wenn ich irgendwo ganz falsch liege):
- MS ist eine Auto-Immun-Erkrankung, welche die körpereigenen T-Zellen dazu veranlassen, die Myelin-Scheiden der Nervenstränge in Gehirn und Rückenmark wegzufressen.
- Ursache dieses Defektes ist bislang unbekannt - nur die Auswirkung ist bekannt (Demyelisierung).
- Das Resultat davon ist praktisch mehr oder weniger ein Kurzschluß dieser freiliegenden Nervenbahnen mit all seinen logischen Auswirkungen im Körper.
- Alle rund 20 Medikamente zielen mehr oder weniger darauf ab, das Immunsystem so herunterzufahren, dass die T-Zellen nicht mehr auf die Idee kommen, die Nerven anzugreifen.
- Tatsächliche Wirkungsweise mal mehr, mal weniger bekannt.
Ich vergleiche das gerne mit einer Chemotherapie bei Krebs oder einem starken Antibiotikum: nicht mehr als ein verzweifelter Versuch, durch eine massive Keule praktisch als Nebeneffekt dieser Zerstörung auch die eigentliche Krankkeit vielleicht in den Griff zu bekommen.
Als Techniker stelle ich für mich persönlich gerne den Vergleich mit einer Hausinstallation an, in deren Mauerwerk Mäuse zugange sind, die wahllos an den Kabeln knabbern. Es beginnt mit der Stehlampe im Eck - und man weiß nicht, was einen am nächsten Morgen erwartet. Sind die Mäuse überhaupt noch da? Flackert am nächsten Tag das komplette Haus und der FI fällt ständig? Für mich beschreibt diese Metapher die “tausend Gesichter” gut nachvollziehbar - und macht auch den Frust über diese große Unkannte ein wenig greifbarer.
Was mich aber nun seit Jahren beschäftigt, ist der Zugang der Fachärzte und die Wirksamkeit der Medikamente.
In meinem Vergleichsmodell bedeutet der aktuelle schulmedizinische Zugang, irgendein Gift in die Wände zu pumpen, in der Hoffnung, die Mäuse daran zu hindern, weiter aktiv zu sein. Als “Beweis” dieser Maßnahme dient der Zeitraum, in dem kein neuer Ausfall zu verzeichnen ist.
Und genau darum gehts eigentlich in diesem Beitrag: Mir ist einfach der Nachweis der Wirksamkeit der Medikamente nicht schlüssig. Es gibt doch gerade bei dieser Erkrankung keinerlei Möglichkeit einer Vergleichs- oder Erfolgsmessung. Oder täusche ich mich?
Bei einem Schnupfen weiß man die Dauer und kann ein neues Medikament gut testen. Ist der Schnupfen nach drei Tagen weg, hat es geholfen.
Bei MS funktioniert das aus meiner Sicht aber nicht. Es gibt keinen Kandidaten, der jeden ersten Montag im Monat einen Schub hat und man daher verlässlich sagen kann, dass genau dieser nun nach einem neuen Medikament ausgeblieben ist. Es gibt auch keine zwei Kandidaten (nicht mal Zwillinge), die man parallel betrachten könnte. Es gibt Berichte von Schüben trotz Medikation und ebenso stagnierende Fälle ohne Medikation.
Die ganzen Studien verwenden doch irgendwelche wahllos festgelegten Zeiträume und vergleichen lauter individuelle Kandidaten, um die Wirksamkeit eines Medikamentes zu “belegen”. Aus meiner Sicht gibt es aktuell aber absolut keine Möglichkeit, diesen Beweis verlässlich anzutreten. Die sprechenden Prozentzahlen der Reduktion der Schubrate sind doch nur teuer ergründete Theorie. Niemand kann verlässlich sagen, ob durch eine andere oder gar keine Medikation das Ergebnis genauso oder gar besser ausgefallen wäre.
Es ist daher nur logisch, dass hier Viele - so auch wir - irgendwann auch auf andere Ansätze, wie Vitamin D, N-Acytelglucosamin, Magnesium, etc. stößt, weil diese für den Laien nicht besser oder schlechter scheinen, als die alteingesessenen Medikamente.
Und das ist das eigentliche Dilemma: Man darf bei einem Facharzt oder einer Untersuchung bei der Krankenkasse nicht erwähnen, dass man aus persönlicher Überzeugung derzeit keine herkömmliche Langzeittherapie macht und lieber das Immunsystem für alle anderen Zwecke fit hält. Man erntet bestenfalls mitleidige Blicke, bekommt aber manchmal auch direkt unterstellt, dass man doch gar nicht gewillt ist, etwas gegen das Fortschreiten der Krankheit unternehmen zu wollen - mit allen Konsequenzen.
Beginnt man hier, mit den Fachleuten sachlich zu diskutieren, zieht man naturgemäß den Kürzeren. Immerhin haben die jahrelang studiert und man selbst nur ein wenig gegoogelt.
Es scheint, als ließen viele Fachärzte diese Sichtweise nicht zu - weil sie sonst eingestehen müssten, eben (noch) nicht viel zu wissen und eigentlich auch nicht wirklich helfen zu können. Als einzige Maßnahme können sie eben dieses Medikamentenportfolio vorschlagen und bei Aufkommen einer Diskussion sofort prophylaktisch blocken und auf die laufenden Studien und Forschungen zu verweisen.
Ich möchte hier explizit nicht sagen, dass die gängigen Medikamente unwirksam sind! Kann sein, dass sie tatsächlich gut wirken und ich nur nicht alles schlüssig nachvollziehen kann oder noch nicht alle Infos beisammen habe. Kann auch sein, dass sie es nicht tun - aber der Glaube daran trotzdem individuell zur Besserung beiträgt.
Ich denke, alles ist gut, wenn es hilft.
Ich möchte auch das Wissen und Engagement der Neurologen und Fachärzte nicht schmälern. Ich glaube, dass deren Einsatz und vor allem die Forschung noch viel bewegen kann, wenngleich der Zeithorizont für alle noch ungewiss ist. Und es ist vermutlich für die Ärzte oft ebenso frustrierend wie für Betroffene.
Aber ich glaube auch, dass eine gewissene Offenheit und Ehrlichkeit in der ganzen Kommunikation und Thematik fehlt und der weiße Ärztekittel oft auch als mentaler Puffer für die eigentliche Hilflosigkeit der anderen Seite herhalten muss.
Wie seht ihr das? Was sind eure Erfahrungen?
Danke und liebe Grüße
WebChaot